Montag, 2. November 2009

Rückflug, 31. Oktober 2009


In der Luft döse ich sofort ein. Merkwürdig, ich scheine langsam die chinesische Lebensart anzunehmen. Sobald die in einem Fahrzeug sind, in irgendeinem, dösen sie ein. - Es war natürlich auch die vorige Nacht in Shanghai, Ausgang bis spätabends, ich bin erst um 1 Uhr früh im Bett. Um viertel vor sechs weckt mich der Wecker und um 6 Uhr telefoniert bereits der Taxifahrer, er sei unten. Der Swiss Flug vom PuDong Airport startet ebenfalls eine Stunde früher als in meinem Reiseprogramm vorgesehen, doch alles hat ausgezeichnet geklappt, man rechnet ja doch immer viel zu viele Reserven ein. Frühstück noch rasch im Flughafen, 90 Yuan kostet das, wie bei mir zu Hause, meint die Serviererin auf meine Bemerkung hin, das sei aber teuer – und hat erst noch recht. In Zürich hätte das ganze dasselbe gekostet. Nur bin ich mir das nicht mehr gewohnt.

Yangshuo 29.Oktober 2009





Guillin und Umgebung begrüssten mich mit drei Tagen Hochnebel, man sah die Sonne höchstens etwas durchscheinen, kein Smog, denke ich, doch der Herbst kann auch hier eine trübe Sache sein, wenn auch um einiges wärmer, ich schätze die Temperatur auf 25 Grad. Heute scheint erstmals die Sonne und sofort beginnt man zu schwitzen und den Schatten zu suchen, die Luft ist extrem feucht.

Nicht nur vom Herbst wird man in dieser Gegend begrüsst, nein, auch von den vielen Chinesen, die sich auf westlichen Tourismus eingestellt haben. Und dies ist auffällig und einmalig auf meiner Reise. Guillin war ganz offensichtlich bereits ein Touristenmagnet, als die Chinesen selber noch wenig herumreisten, ja vielleicht waren es auch die Leute aus dem Westen – wie bei uns in der Schweiz die Engländer – die diese spezielle Hügellandschaft überhaupt erst entdeckt haben. Unterdessen ist aber der chinesische Tourismus gefolgt. Und wie alles in China ging das dann schnell und heftig. Wie eine Heuschreckenplage kommen sie mir manchmal vor, diese einfallenden Touristenhorden. Nicht kahl gefressen ist die Gegend dann, aber der stille Charme ist weg, dafür lärmige Bars, Souvenirshops und Hotels. Yangshuo, das in den Guidebooks als ehemaliges Travellerparadies dargestellt wird, hat gänzlich auf chinesischen Massentourismus umgestellt. Gebaut wurde unheimlich viel, vom alten Städtchen ist kaum etwas übrig geblieben. Zum Glück allerdings ist die Stockwerkzahl begrenzt, keine Hochhäuser, auch nicht im Zentrum von Guillin, man hat erkannt, dass es für den Tourismus schädlich wäre, wenn man die charakteristischen Spitzkegelhügel nicht mehr sähe.

Anders als an den übrigen Orten die ich besucht habe ist, dass sich die Leute hier an Ausländer gewohnt sind. Sie sprechen fast alle Englisch, allerdings meistens gerade nur das wenige, was sie brauchen, um ihre Ware an den Mann zu bringen oder ihren Job zu erledigen. Und vor allem: Sie hauen die Ausländer an. Was mich erst merken lässt, was China zu einem wirklich angenehmen Reiseland macht. Solches passiert nämlich im allgemeinen nicht, in China wird man als Ausländer in Ruhe gelassen, die Leute sind überhaupt nicht aufdringlich. Keine Händler- und Anquatscherhorden, die sich auf ankommende Busse stürzen. Bis eben auf die Gegend hier, Guillin mit seinen berühmten Bergen, die eigentlich eher Hügel sind von der Höhe her, mit ihrer ganz charakteristischen Form.

Ganz offensichtlich verdirbt der Tourismus den Charakter der Bewohner einer Gegend. Selbst ein einfacher Bauer, ich bin gestern mit einem Fahrrad auf dem Land herumgeradelt, will mir nun unbedingt eine Fahrt auf einem Bambusboot andrehen. So stehen in solch „touristisch entwickelten“ Gebieten nun tonnenweise Leute am Strassenrand, wartend, die meiste Zeit, und hoffend, das grosse Geld zu machen. Effektiv verdienen sie wohl unanständig viel, wenn sie wirklich ab und zu etwas verkaufen – verglichen mit dem, was sie als Bauern oder Handwerker verdient haben. Auch mit der Ehrlichkeit ist es vorbei, als Tourist wird man fast überall höhere Preise bezahlen als die Einheimischen. Viele Ausländer tun dies auch ohne mit der Wimper zu zucken, ist doch China für sie immer noch billig. - Übrigens sind auch chinesische Touristen überaus grosszügig und beklagen sich kaum über die unanständig hohen Eintrittspreise und oft wenig spektakulären Sehenswürdigkeiten. Oder würden sich über deren Qualität beklagen. Das wäre ihnen peinlich, man will nicht als knauserig erscheinen. Ausser die Übrigen täten das ebenfalls, da müsste schon die ganze Gruppe mitmachen.

Yangshuo also ist mir auf den ersten Blick unsympathisch. Eigentlich möchte ich gerade den nächsten Bus nehmen und nach Guillin zurückfahren. Das ist zwar touristisch ebenfalls verdorben, aber da es eine grosse Stadt ist, verteilt sich das ganze, man kann ihm ausweichen. - Auch wenn die Taxifahrer als einzige in China sich strickt weigern, ihr Taxameter einzuschalten, für jede Fahrt muss man mühsam einen Preis aushandeln. Ich habe eben 80 Yuan ausgefeilscht für eine Fahrt auf den Flughafen. Und schimpfe laut mit dem Fahrer. Doch insgeheim bin ich mit dem Handel zufrieden. Im Youth Hostel haben sie das auch für 80 Yuan angeboten.

Zurück nach Yangshuo. Ich finde dann doch, ich müsse dem Städtchen eine Chance geben und leiste mir ein Zimmer in einem guten Hotel direkt am Fluss, ich will die letzten beiden Tage bequem wohnen. Auf der Fahrt mit einem Boot den Li River hinunter, die gängige Art, wie ein Tourist nach Yanghshuo gelangt, komme ich mit einem jungen Deutschen ins Gespräch. Er erzählt mir von „Monkey Janes Rooftop Bar“, dem Treffpunkt über den Dächern. Spätabends finde ich den Weg dort hinauf. Und entdecke so doch noch eine freakige Travellerbar hoch über den Dächern. Vom Alter her gehöre ich natürlich nicht mehr zum Stammpublikum eines solchen Ortes. Merkwürdigerweise ist das aber kein Problem, ich komme trotzdem einfach ins Gespräch und bleibe viel länger hängen als vorgesehen. Gleich neben der Terrasse ragt die Steilwand eines der Spitzkegel, die frech überall in der Stadt herumstehen, auf, hell von Scheinwerfern beleuchtet. - Am nächsten Morgen gehe ich dann nochmals auf diese Terrasse hinauf, es ist nun ganz ruhig, die Stadt ist noch nicht erwacht. Eine extrem friedliche Stimmung, die mich inspiriert, mich im Skizzieren zu versuchen.

In meiner Themensammlung bleiben noch ein paar Sachen übrig, die ich bisher nirgendwo einbauen konnte. Hier als Schlussbouquet eine lockere Aufzählung.

Zum Kopieren. In China etwas Selbstverständliches und nichts Anrüchiges. Nur, so finde ich, sollten die Kopien gut gemacht sein. Auch Sehenswürdigkeiten werden kopiert. In der Karstlandschaft rund um Yangshuo gibt es viele natürliche Tropfsteinhöhlen. Doch offensichtlich reicht das nicht aus. So werden Touristen in falsche Höhlen geführt. Ein Traveller erklärte mir, er sei in dem „Butterfly cave“ gewesen. Dort habe es eine Tropfsteinformation in Schmetterlingsform gehabt. Die sei ihm von Anfang an komisch vorgekommen, unecht irgendwie. Weshalb er daran geklopft habe und habe feststellen müssen, dass alles nur Kulisse, es habe extrem hohl getönt und von Nahem dann auch gar nicht mehr so gut ausgesehen.......Auch bei den Hotel-, Restaurant- und Barnamen wird gerne kopiert. Wird eine Lokalität in einem Reiseführer besonders hervorgehoben, so gibt es sofort mehrere Lokalitäten mit demselben Namen, was man als Fremder nur schwer bemerkt. Und wenn man es einmal bemerkt hat, dann weiss man immer noch nicht, welches nun das vielgelobte Original ist. Sind auch die Kopien gut, so zweigt das der ursprünglich gemeinten Lokalität „nur“ etwas Kundschaft ab. Sind sie hingegen schlecht, so wird der ganze Ruf des Hauses verdorben. Ganz offensichtlich scheinen Namen in China nicht gesetzlich geschützt zu sein.

Auf meiner Velotour mache ich vor einem kleinen Lokal halt, das genau gegenüber einer Stelle am Fluss liegt, wo die Einheimischen mit ihren Bambusboten auf Kundschaft warten. Es gibt sogar eine Speisekarte in unserer Schrift. Auch Schlange und Frosch stehen darauf. Ich entscheide mich für gebratene Auberginen mit Knoblauch, einfach, doch durchaus essbar. – Die auffälligste und am weitesten verbreitete Speise in China sind übrigens Hühnerfüsse. Gebraten, gesotten, mariniert, glasiert, überall sind diese Füsse erhältlich. Gerne auch vakuumverpackt, in Supermärkten meist direkt vor der Kasse als kleine Verführungen. Ganz offensichtlich eine Delikatesse, ich habe es nie ausprobiert. Muss aber trotzdem noch sagen, dass diese Füsse viel fleischiger sind als bei uns. Eine andere Sorte Hühner? Oder kommt das von der Zubereitung? Oder habe ich vielleicht die Füsse unserer Hühner bisher noch gar nie so genau angeschaut? - Übrigens habe ich auf meiner Reise nie beobachtet, wie die Chinesen Hühnerfüsse essen. Das scheint eher ein Zwischenimbiss zu sein, man lutscht wohl daran herum wie an Bonbons.

Die Chinesen und die Sonne, beziehungsweise Hitze. Chinesische Frauen scheinen immer noch als Schönheitsideal schneeweisse Haut zu haben. Um jegliche Bräunung zu vermeiden, spannen sie selbst bei geringstem Sonnenschein sofort einen Regenschirm auf. Ich habe das auch ausprobiert, doch mindestens gegen die Hitze hat das kaum einen Effekt. Der Hitzestau unter dem Schirm scheint mir die verminderte Einstrahlung nicht auszugleichen. Häufig – gerade in heissen Gegenden, wo Kleider mit Ärmeln nicht erwünscht sind – ziehen sich die Frauen auch Armschoner mit Elastik am Oberarm und unten beim Handgelenk an. Es gibt auch noch fantasievollere Umhänge, die ebenfalls diesem Zweck dienen sollen. Auch weisse Handschuhe werden häufig getragen. Diese vor allem von Taxi- und Busfahrern, manchmal auch auf dem Velo oder Elektroroller. Und dies nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern. Wozu das genau gut sein soll, habe ich nicht herausgefunden. - Einfacher ist dies beim Bauchfreimachen der Männer. Ganz offensichtlich scheinen chinesische Männer davon überzeugt zu sein, dass sie einem Hitzestau durch das heraufrollen des T-Shirts bis zur Brust hinauf, vorbeugen können. Weshalb man in China in den Genuss von vielen weissen und unbehaarten, mehr oder weniger fetten Männerbäuchen kommt, die offensichtlich als Kühler funktionieren.

Eine letzte Eigenheit der Chinesen in Bezug auf die Kleidung: Frauen wie Männer in Städten lieben es ausserordentlich, in Pijamas auf die Strasse hinaus zu gehen. Leichte Modelle aus Stoff. Das sieht mir sehr bequem aus und ist mir auch gut verständlich, eine Sitte, die ich gerne in Europa ebenfalls einführen würde. Allerdings schämte sich offensichtlich die chinesische Führung vor der Olympiade dafür und versuchte, die Bevölkerung davon abzubringen. Vergeblich, wie sich heute leicht erkennen lässt.

Die chinesische Mode unterscheidet sich heute übrigens nicht mehr stark von der unsrigen. Selbst die Schaufensterpuppen sehen gleich aus wie bei uns und gleichen sich zusätzlich untereinander extrem. Ganz offensichtlich wurden die einmal massenhaft aus Russland eingeführt. Immer das gleiche Modell, wie sich dies für den Kommunismus gebührt. Einzig in den grössten Städten gibt es in schicken Läden eine Entwicklung, doch kann ich mich nicht erinnern, Schaufensterpuppen mit asiatischem Aussehen gesehen zu haben. – Man überlege sich: Wenn wir in der Schweiz nur Schaufensterpuppen mit asiatischem Aussehen hätten? Der Westen ist ganz offensichtlich das grosse, nachahmenswerte Vorbild. Nachdem Mao gelernt hat, dass alles aus dem Westen schlecht sei. – Überhaupt scheinen mir moderne Chinesen am ersten etwas mit Amerikanern gemein zu haben. Sowohl beim Städtebau – Städte in dieser Art trifft man in Europa kaum an, für uns hat eine schöne Stadt einen alten Kern – wie in der etwas exaltierten Freitzeitgestaltung, „fun“ um jeden Preis, laut, lärmig und kitschig, ob echt oder unecht kommt gar nicht darauf an. Einzig in Sachen Individualismus sind wir alle wohl anders als die Chinesen. Ein stärkeres Gruppengefühl scheint hier genetisch verankert zu sein. Was durchaus auch Vorteile hat in derartig dicht besiedelten Gebieten.