Montag, 2. November 2009

Rückflug, 31. Oktober 2009


In der Luft döse ich sofort ein. Merkwürdig, ich scheine langsam die chinesische Lebensart anzunehmen. Sobald die in einem Fahrzeug sind, in irgendeinem, dösen sie ein. - Es war natürlich auch die vorige Nacht in Shanghai, Ausgang bis spätabends, ich bin erst um 1 Uhr früh im Bett. Um viertel vor sechs weckt mich der Wecker und um 6 Uhr telefoniert bereits der Taxifahrer, er sei unten. Der Swiss Flug vom PuDong Airport startet ebenfalls eine Stunde früher als in meinem Reiseprogramm vorgesehen, doch alles hat ausgezeichnet geklappt, man rechnet ja doch immer viel zu viele Reserven ein. Frühstück noch rasch im Flughafen, 90 Yuan kostet das, wie bei mir zu Hause, meint die Serviererin auf meine Bemerkung hin, das sei aber teuer – und hat erst noch recht. In Zürich hätte das ganze dasselbe gekostet. Nur bin ich mir das nicht mehr gewohnt.

Yangshuo 29.Oktober 2009





Guillin und Umgebung begrüssten mich mit drei Tagen Hochnebel, man sah die Sonne höchstens etwas durchscheinen, kein Smog, denke ich, doch der Herbst kann auch hier eine trübe Sache sein, wenn auch um einiges wärmer, ich schätze die Temperatur auf 25 Grad. Heute scheint erstmals die Sonne und sofort beginnt man zu schwitzen und den Schatten zu suchen, die Luft ist extrem feucht.

Nicht nur vom Herbst wird man in dieser Gegend begrüsst, nein, auch von den vielen Chinesen, die sich auf westlichen Tourismus eingestellt haben. Und dies ist auffällig und einmalig auf meiner Reise. Guillin war ganz offensichtlich bereits ein Touristenmagnet, als die Chinesen selber noch wenig herumreisten, ja vielleicht waren es auch die Leute aus dem Westen – wie bei uns in der Schweiz die Engländer – die diese spezielle Hügellandschaft überhaupt erst entdeckt haben. Unterdessen ist aber der chinesische Tourismus gefolgt. Und wie alles in China ging das dann schnell und heftig. Wie eine Heuschreckenplage kommen sie mir manchmal vor, diese einfallenden Touristenhorden. Nicht kahl gefressen ist die Gegend dann, aber der stille Charme ist weg, dafür lärmige Bars, Souvenirshops und Hotels. Yangshuo, das in den Guidebooks als ehemaliges Travellerparadies dargestellt wird, hat gänzlich auf chinesischen Massentourismus umgestellt. Gebaut wurde unheimlich viel, vom alten Städtchen ist kaum etwas übrig geblieben. Zum Glück allerdings ist die Stockwerkzahl begrenzt, keine Hochhäuser, auch nicht im Zentrum von Guillin, man hat erkannt, dass es für den Tourismus schädlich wäre, wenn man die charakteristischen Spitzkegelhügel nicht mehr sähe.

Anders als an den übrigen Orten die ich besucht habe ist, dass sich die Leute hier an Ausländer gewohnt sind. Sie sprechen fast alle Englisch, allerdings meistens gerade nur das wenige, was sie brauchen, um ihre Ware an den Mann zu bringen oder ihren Job zu erledigen. Und vor allem: Sie hauen die Ausländer an. Was mich erst merken lässt, was China zu einem wirklich angenehmen Reiseland macht. Solches passiert nämlich im allgemeinen nicht, in China wird man als Ausländer in Ruhe gelassen, die Leute sind überhaupt nicht aufdringlich. Keine Händler- und Anquatscherhorden, die sich auf ankommende Busse stürzen. Bis eben auf die Gegend hier, Guillin mit seinen berühmten Bergen, die eigentlich eher Hügel sind von der Höhe her, mit ihrer ganz charakteristischen Form.

Ganz offensichtlich verdirbt der Tourismus den Charakter der Bewohner einer Gegend. Selbst ein einfacher Bauer, ich bin gestern mit einem Fahrrad auf dem Land herumgeradelt, will mir nun unbedingt eine Fahrt auf einem Bambusboot andrehen. So stehen in solch „touristisch entwickelten“ Gebieten nun tonnenweise Leute am Strassenrand, wartend, die meiste Zeit, und hoffend, das grosse Geld zu machen. Effektiv verdienen sie wohl unanständig viel, wenn sie wirklich ab und zu etwas verkaufen – verglichen mit dem, was sie als Bauern oder Handwerker verdient haben. Auch mit der Ehrlichkeit ist es vorbei, als Tourist wird man fast überall höhere Preise bezahlen als die Einheimischen. Viele Ausländer tun dies auch ohne mit der Wimper zu zucken, ist doch China für sie immer noch billig. - Übrigens sind auch chinesische Touristen überaus grosszügig und beklagen sich kaum über die unanständig hohen Eintrittspreise und oft wenig spektakulären Sehenswürdigkeiten. Oder würden sich über deren Qualität beklagen. Das wäre ihnen peinlich, man will nicht als knauserig erscheinen. Ausser die Übrigen täten das ebenfalls, da müsste schon die ganze Gruppe mitmachen.

Yangshuo also ist mir auf den ersten Blick unsympathisch. Eigentlich möchte ich gerade den nächsten Bus nehmen und nach Guillin zurückfahren. Das ist zwar touristisch ebenfalls verdorben, aber da es eine grosse Stadt ist, verteilt sich das ganze, man kann ihm ausweichen. - Auch wenn die Taxifahrer als einzige in China sich strickt weigern, ihr Taxameter einzuschalten, für jede Fahrt muss man mühsam einen Preis aushandeln. Ich habe eben 80 Yuan ausgefeilscht für eine Fahrt auf den Flughafen. Und schimpfe laut mit dem Fahrer. Doch insgeheim bin ich mit dem Handel zufrieden. Im Youth Hostel haben sie das auch für 80 Yuan angeboten.

Zurück nach Yangshuo. Ich finde dann doch, ich müsse dem Städtchen eine Chance geben und leiste mir ein Zimmer in einem guten Hotel direkt am Fluss, ich will die letzten beiden Tage bequem wohnen. Auf der Fahrt mit einem Boot den Li River hinunter, die gängige Art, wie ein Tourist nach Yanghshuo gelangt, komme ich mit einem jungen Deutschen ins Gespräch. Er erzählt mir von „Monkey Janes Rooftop Bar“, dem Treffpunkt über den Dächern. Spätabends finde ich den Weg dort hinauf. Und entdecke so doch noch eine freakige Travellerbar hoch über den Dächern. Vom Alter her gehöre ich natürlich nicht mehr zum Stammpublikum eines solchen Ortes. Merkwürdigerweise ist das aber kein Problem, ich komme trotzdem einfach ins Gespräch und bleibe viel länger hängen als vorgesehen. Gleich neben der Terrasse ragt die Steilwand eines der Spitzkegel, die frech überall in der Stadt herumstehen, auf, hell von Scheinwerfern beleuchtet. - Am nächsten Morgen gehe ich dann nochmals auf diese Terrasse hinauf, es ist nun ganz ruhig, die Stadt ist noch nicht erwacht. Eine extrem friedliche Stimmung, die mich inspiriert, mich im Skizzieren zu versuchen.

In meiner Themensammlung bleiben noch ein paar Sachen übrig, die ich bisher nirgendwo einbauen konnte. Hier als Schlussbouquet eine lockere Aufzählung.

Zum Kopieren. In China etwas Selbstverständliches und nichts Anrüchiges. Nur, so finde ich, sollten die Kopien gut gemacht sein. Auch Sehenswürdigkeiten werden kopiert. In der Karstlandschaft rund um Yangshuo gibt es viele natürliche Tropfsteinhöhlen. Doch offensichtlich reicht das nicht aus. So werden Touristen in falsche Höhlen geführt. Ein Traveller erklärte mir, er sei in dem „Butterfly cave“ gewesen. Dort habe es eine Tropfsteinformation in Schmetterlingsform gehabt. Die sei ihm von Anfang an komisch vorgekommen, unecht irgendwie. Weshalb er daran geklopft habe und habe feststellen müssen, dass alles nur Kulisse, es habe extrem hohl getönt und von Nahem dann auch gar nicht mehr so gut ausgesehen.......Auch bei den Hotel-, Restaurant- und Barnamen wird gerne kopiert. Wird eine Lokalität in einem Reiseführer besonders hervorgehoben, so gibt es sofort mehrere Lokalitäten mit demselben Namen, was man als Fremder nur schwer bemerkt. Und wenn man es einmal bemerkt hat, dann weiss man immer noch nicht, welches nun das vielgelobte Original ist. Sind auch die Kopien gut, so zweigt das der ursprünglich gemeinten Lokalität „nur“ etwas Kundschaft ab. Sind sie hingegen schlecht, so wird der ganze Ruf des Hauses verdorben. Ganz offensichtlich scheinen Namen in China nicht gesetzlich geschützt zu sein.

Auf meiner Velotour mache ich vor einem kleinen Lokal halt, das genau gegenüber einer Stelle am Fluss liegt, wo die Einheimischen mit ihren Bambusboten auf Kundschaft warten. Es gibt sogar eine Speisekarte in unserer Schrift. Auch Schlange und Frosch stehen darauf. Ich entscheide mich für gebratene Auberginen mit Knoblauch, einfach, doch durchaus essbar. – Die auffälligste und am weitesten verbreitete Speise in China sind übrigens Hühnerfüsse. Gebraten, gesotten, mariniert, glasiert, überall sind diese Füsse erhältlich. Gerne auch vakuumverpackt, in Supermärkten meist direkt vor der Kasse als kleine Verführungen. Ganz offensichtlich eine Delikatesse, ich habe es nie ausprobiert. Muss aber trotzdem noch sagen, dass diese Füsse viel fleischiger sind als bei uns. Eine andere Sorte Hühner? Oder kommt das von der Zubereitung? Oder habe ich vielleicht die Füsse unserer Hühner bisher noch gar nie so genau angeschaut? - Übrigens habe ich auf meiner Reise nie beobachtet, wie die Chinesen Hühnerfüsse essen. Das scheint eher ein Zwischenimbiss zu sein, man lutscht wohl daran herum wie an Bonbons.

Die Chinesen und die Sonne, beziehungsweise Hitze. Chinesische Frauen scheinen immer noch als Schönheitsideal schneeweisse Haut zu haben. Um jegliche Bräunung zu vermeiden, spannen sie selbst bei geringstem Sonnenschein sofort einen Regenschirm auf. Ich habe das auch ausprobiert, doch mindestens gegen die Hitze hat das kaum einen Effekt. Der Hitzestau unter dem Schirm scheint mir die verminderte Einstrahlung nicht auszugleichen. Häufig – gerade in heissen Gegenden, wo Kleider mit Ärmeln nicht erwünscht sind – ziehen sich die Frauen auch Armschoner mit Elastik am Oberarm und unten beim Handgelenk an. Es gibt auch noch fantasievollere Umhänge, die ebenfalls diesem Zweck dienen sollen. Auch weisse Handschuhe werden häufig getragen. Diese vor allem von Taxi- und Busfahrern, manchmal auch auf dem Velo oder Elektroroller. Und dies nicht nur von Frauen, sondern auch von Männern. Wozu das genau gut sein soll, habe ich nicht herausgefunden. - Einfacher ist dies beim Bauchfreimachen der Männer. Ganz offensichtlich scheinen chinesische Männer davon überzeugt zu sein, dass sie einem Hitzestau durch das heraufrollen des T-Shirts bis zur Brust hinauf, vorbeugen können. Weshalb man in China in den Genuss von vielen weissen und unbehaarten, mehr oder weniger fetten Männerbäuchen kommt, die offensichtlich als Kühler funktionieren.

Eine letzte Eigenheit der Chinesen in Bezug auf die Kleidung: Frauen wie Männer in Städten lieben es ausserordentlich, in Pijamas auf die Strasse hinaus zu gehen. Leichte Modelle aus Stoff. Das sieht mir sehr bequem aus und ist mir auch gut verständlich, eine Sitte, die ich gerne in Europa ebenfalls einführen würde. Allerdings schämte sich offensichtlich die chinesische Führung vor der Olympiade dafür und versuchte, die Bevölkerung davon abzubringen. Vergeblich, wie sich heute leicht erkennen lässt.

Die chinesische Mode unterscheidet sich heute übrigens nicht mehr stark von der unsrigen. Selbst die Schaufensterpuppen sehen gleich aus wie bei uns und gleichen sich zusätzlich untereinander extrem. Ganz offensichtlich wurden die einmal massenhaft aus Russland eingeführt. Immer das gleiche Modell, wie sich dies für den Kommunismus gebührt. Einzig in den grössten Städten gibt es in schicken Läden eine Entwicklung, doch kann ich mich nicht erinnern, Schaufensterpuppen mit asiatischem Aussehen gesehen zu haben. – Man überlege sich: Wenn wir in der Schweiz nur Schaufensterpuppen mit asiatischem Aussehen hätten? Der Westen ist ganz offensichtlich das grosse, nachahmenswerte Vorbild. Nachdem Mao gelernt hat, dass alles aus dem Westen schlecht sei. – Überhaupt scheinen mir moderne Chinesen am ersten etwas mit Amerikanern gemein zu haben. Sowohl beim Städtebau – Städte in dieser Art trifft man in Europa kaum an, für uns hat eine schöne Stadt einen alten Kern – wie in der etwas exaltierten Freitzeitgestaltung, „fun“ um jeden Preis, laut, lärmig und kitschig, ob echt oder unecht kommt gar nicht darauf an. Einzig in Sachen Individualismus sind wir alle wohl anders als die Chinesen. Ein stärkeres Gruppengefühl scheint hier genetisch verankert zu sein. Was durchaus auch Vorteile hat in derartig dicht besiedelten Gebieten.

Freitag, 30. Oktober 2009



Guillin, 26. Oktober 2009

In China wird man immer überrascht. Da erwartete ich doch denselben Typ Nachtzug wie letztes Mal und diesmal waren „Soft sleeper“ - die Frau vom Hostel fragte mich ob ich einen „Hard sleeper“ wolle, was ich verneinte, in meinem Alter - diesmal also reise ich in einem Zug mit geschlossenen Abteilen und nur vier Betten darin. Und schlafe recht gut. Meine Mitbewohner, ein Paar und eine Frau, bieten mir auch diesmal gleich zu Beginn Früchte an, was ich akzeptiere. Ich werde ihnen später anbieten, was ich habe, nämlich Biskuits, doch sie werden ablehnen. Ich werde anschliessend ihr Angebot auf eine Dosensuppe zum Frühstück ebenfalls ablehnen, „houlai“ (choulai), später, werde ich sagen, was sie gut verstehen, wissen sie doch, dass wir solches am Morgen eher meiden. Und bin nun nicht mehr so ganz sicher, ob man Angebote hier annehmen soll oder ob dies lediglich Höflichkeitsgesten sind um jemanden, auch praktisch ohne Worte, willkommen zu heissen.

Am Morgen früh gibt es dann Tagwacht, ich frage sie, ob sie denn ebenfalls nach Guillin wollten, was bejaht wird. Da geht es nämlich noch gut 5 Stunden weiter. Sie verlassen dann aber denn Zug bei der nächsten Station, in „Nanning“, wie ich verstehe, und seither habe ich das ganze komfortable Abteil für mich alleine.
Nachdem wir während der Nacht wohl ziemlich weit hinauf und hinunter gereist sind, ich hatte einen extremen Druck in den Ohren, sind wir nun in einer flacheren Gegend, dicht besiedelt bisher. Der Himmel ist grau, was aber jetzt nichts mehr sagt, die Tage beginnen nun alle mit Hochnebel oder Nebel, der sich im Laufe des Morgens legt.
Eben gerade kommt eine Art Hostess das Abteil aufräumen, Papierkorb leeren, die Betten zurecht ziehen, im Zug hat es sehr viele Reisebegleiterinnen und -begleiter, auch die Toiletten sind immer noch sauber.

Gestern Abend fand ich sogar einen Speisewagen gerade nebenan – auch dies gab es letztes Mal nicht – weshalb ich sogar noch zu einem Nachtessen kam und mir mein obligatorisches Abendbier genehmigte. Hier wurde ich allerdings ziemlich bestaunt, offensichtlich tun das Langnasen selten, mindestens sehe ich vorher ein Dreiergrüppchen von Touristen nasenrümpfend zurückkehren. Es hat ihnen zuviel Rauch dort. Deshalb liebe militante Nichtraucher: Bitte niemals nach China reisen. Ihr werdet dort nur leiden oder die Leute belästigen. Was man als Gast sicherlich nicht tun sollte.
Im Zugrestaurant werde ich von einem Mann in schwarzer Uniform mit vielen Abzeichen, er sieht aus wie ein Polizeichef, bedient. In diesem Zug sind alle irgendwie uniformiert und etikettiert, ich denke, Chinesen mögen das.

Die Sonne tritt rötlich zwischen Wolkenrändern hervor, die Landschaft ist üppiggrün geworden, viel Wasser auch hier, wir folgen einem Flusslauf, Teiche überall, das ist etwas, das mir in China immer auffällt.

Dienstag, 27. Oktober 2009





Kunming 25. Oktober 2009

Das „Cloudland Youth Hostel“ in Kunming ist eine gute Adresse. Sauber, günstig würde ich nicht sagen, ein Chinesisches Hotel dieser Klasse würde viel weniger kosten. Der Vorteil dieses Hotels ist aber, dass die Angestellten sehr gut Englisch sprechen und einem auch alle Buchungen abnehmen. So musste ich mich weder um das Ticket für den Nachtzug heute nach Guillin, noch um den Flug von dort nach Shanghai kümmern, alles wurde für mich erledigt. Und zusätzlich kriegt man Informationen, mit welchem Stadtbus man wohin gelangt, dies alles sind unschätzbare Vorteile. – Dann aber auch: Wieder einmal normal sprechen zu können, sich mit Leuten auszutauschen. Hier hat es Travellers von überall her. Deutsch, Französisch, Englisch natürlich, wird gesprochen, Spanisch, auch Südamerikaner hat es, und Jüdisch. So ist es sehr einfach mit Leuten in Kontakt zu kommen und Erfahrungen auszutauschen, was zwischendurch gut tut und nützlich ist beim Reisen. Es gibt allerdings auch viele Dinge, die mich hier nerven. Zum Beispiel, dass alle drei aktuellen Ausgaben vom „Lonely Planet Guide“, die vom Hostel grosszügierweise in einer gut ausgestatteten Bibliothek zur Verfügung gestellt werden, unvollständig sind, weil sich manche Leute offensichtlich einfach die Seiten herausschneiden, die sie gerade brauchen. Und sich so das Geld für einen eigenen Guide sparen. Ganz ehrlich gesagt, passe ich hier viel mehr auf meine Sachen auf, als in irgend einem wirklich chinesischen Hotel. Dort würde solches nie passieren. Die Kundschaft im Cloudland ist sehr gemischt, auch Chinesen sind hier, doch offensichtlich gibt es kaum eine Vermischung zwischen dem chinesischen und dem ausländischen Publikum. Obwohl gerade diese Chinesen hier im allgemeinen Englisch sprechen. Auch altersmässig ist es sehr unterschiedlich, neben einem vorwiegend jungen Publikum gibt es auch ältere Leute wie mich.Und gerade gegenüber, im nächsten Hof eigentlich, vom Restaurant aus hat es Fenster, die auf diese Seite führen, auf der anderen Seite also, ist ein chinesisches Publikum. Ein ganz normales Quartier, die Leute wohnen da und vor allem – in Kunming ein speziell schlimmes Übel - spielen bereits ab Mittag an ihren kleinen Tischchen. So kommt man auch hier in den Genuss von echtem China. Mindestens als Zuschauer.
Vorgestern habe ich den „Ethnic Nationality Park“ besucht, der mit dem Stadtbus erreicht werden kann. Ich habe mir erhofft, hier endlich eine Übersicht zu bekommen über die verschiedenen Minoritätenvölker Yunnans. Bai, Naxi, Dai und Hani sind mir ja unterwegs bereits begegnet. Doch habe ich so viele verschiedene farbenprächtige Trachten gesehen, dass es schwierig war, sie zuzuordnen. Übrigens wird traditionelle Kleidung im Alltag wohl weltweit vorwiegend noch von Frauen getragen, die Männer zeihen solches höchstens für Festtage an. Sind Frauen denn traditionsbewusster? Nicht alle dieser alten Kleidungsstücke könnte man nämlich als besonders bequem bezeichnen. – Zurück zum Park, in dem ich hoffte, mir eine systematische Übersicht verschaffen zu können, auch zu den Baustilen, beispielsweise der Naxi, der Bai und der Yi, die sich sehr ähneln, Hofhäuser, auf drei Seiten umbaut mit Stirnwand als Schutz vor neugierigen Blicken. – Doch dies scheint nicht dem Bedürfnis chinesischer Touristen zu entsprechen, viel wichtiger sind hier gute Fotosujets. Überall können Trachten gemietet werden, etwas, wovon die Besucher rege profitieren. So kleiden sie sich schön bunt, und lassen sich vor einem netten Häuschen ablichten. Vor irgendeinem, das ist wohl gar nicht wichtig, alle Kleidervermieter haben nämlich alle verschiedenen Trachten, damit die Besucher auslesen können. Weshalb ich auch nur sehr bedingt herausgefunden habe, wie sich die einzelnen Minoritäten kleiden. Offensichtlich recht variabel auch, so dass es schwierig ist, zuzuordnen. Aufgefallen sind mir die witzigen, bunt gefärbten Plissejupes der Miao, die ich bereits häufig in Souvenirshops bewundert habe. Dazu tragen die Frauen eine Art Lampenschirm auf dem Kopf, der mit Metallschmuck und Perlen reich behängt ist. Etwas weiteres habe ich auch noch gelernt, nämlich, dass man auch in Yunnan bei manchen Völkern den Blockhausstil kannte. Das sieht dann effektiv fast aus wie in der Schweiz, dem Wallis am ersten, denn die Häuser stehen ebenfalls auf Stelzen, allerdings ohne die charakteristischen Steinplatten dazwischen. Leider war man in diesem Park aber zu faul, das richtig nachzubauen, weshalb gut sichtbar ist, dass die hervorstehenden Eckstücke nur aufgeklebt sind. Überhaupt zweifle ich etwas, ob alle Details hier auch wirklich stimmen, wahrscheinlich war dieser Anspruch nicht so wichtig. Hauptsache: ein Touristenmagnet.
Dasselbe ist natürlich auch Shilin, der Steinwald in der Nähe von Kunming. Extrem schöne Felsformationen, hochhausgrosse Karstzähne, zwischen denen Wege gebaut wurden, manchmal sind die Durchgänge so schmal, dass man Angst hat stecken zu bleiben. Und irgendwo schwappt zwischen diesen Gigantenzähnen ein Teich mit tintenschwarzem Wasser, über den Stege und Brücken führen. Unheimlich und schön. Man kann hier tagelang herumwandeln. – Doch das tun die wenigsten, sobald man von den zentralen Fotosujets weg ist, die mit Elektrobussen angepeilt werden, dann ist man ganz alleine. Oder fast. Zwischendurch trifft man auf andere ausländische Touristen und die paar wenigen Chinesen, die es auch bevorzugen, individuell herumzureisen.Im „Cloudland“ meint eine Französin, ja, das nerve sie auch, dieser chinesische Gruppentourismus, alle zusammen, eine hübsche Leiterin, die dauernd in ihr Megafon quacke und die Leute vorantreibe. Doch dies sei wohl der Beginn des Tourismus, ist die Französin überzeugt, vorher hätten sie das nicht tun können. - Ich habe darüber nachgedacht und denke, das stimmt nicht. Bei uns begann der Tourismus mit ein paar Individualisten, die als Spinner angesehen wurden und die Berge eroberten. Erst viel später folgte der Massen- und Gruppentourismus. Wahrscheinlich fühlen sich die Chinesen einfach wohler, wenn sie nicht alleine sind. In der dicht bevölkerten chinesischen Welt ein Vorteil.



Kunming 22. Oktober 2009

Von Zahlen und Zeichensprache. Mein Vertrauen, dass die Gestensprache überall auf der Welt ungefähr gleich funktioniere, wurde in China bereits am Anfang erschüttert. Beim Zählen. Schien es mir doch logisch, dass man jedes Mal einfach einen Finger mehr hochhält. Chinesen jedoch zählen anders. Zwei beispielsweise, sind nicht Daumen und Zeigfinger, denn das ist acht, sondern Ringfinger und Mittelfinger. Und bei zehn beispielsweise schlägt man die Zeigfinger beider Hände im senkrechten Winkel gekreuzt aufeinander, die Logik ist also ganz eine andere. Und unterdessen fällt es mir leichter, die Zahlen zu sagen und zu verstehen, als die Fingersprache. Doch häufig denken die Chinesen gleich wie ich, nämlich, dass es einfacher sei, mir mit den Händen klar zu machen, wie viel etwas koste - weil das doch logisch sei. – Das war zwar ein harter Schlag und verunsicherte mich arg, unterdessen habe ich aber bemerkt, dass trotzdem vieles, alles was mit Gemütsregungen zu tun hat sicherlich, problemlos über die Gestik verstanden werden kann. Gestern Abend im Konfuziuspark von Jianshui, wollten mir manche der älteren herumspazierenden Leute zu verstehen geben, dass ihnen meine Zeichnung gefiel. Das habe ich problemlos verstanden. Missfallen und Gefallen, das funktioniert ganz sicher bei den Chinesen genau gleich. Und wenn ich über etwas wütend werde, denn versteht man das hier auch, wenn ich in Englisch fluche. Obwohl ich mir inzwischen die passenden Worte angeeignet habe: bu dui, bu hao, das geht nicht, ist nicht gut, das will ich nicht oder bu xing, das bu sching ausgesprochen wird, mich an bullshit erinnert und deshalb besonders einfach zu behalten ist. - Das bei den Chinesen bekannteste englische Wort ist sicherlich hello. Gerade im Süden wurde ich überall mit hello begrüsst.

Ein weiteres sprachliches Detail, das mich erstaunt. Vater und Mutter heissen auf Chinesisch gleich wie bei uns, nämlich „Baba“ und „Mama“. Sind das wohl natürliche Urlaute, die jedes Menschenkind als erstes ausspricht? Ich suche nach den Worten in Swahili und finde sie momentan nicht. Doch erinnere ich mich daran, dass der Moritz, der Sohn meiner Schwester als erstes Wort „Auto“ sagte. Das mit den Urlauten kann also nicht stimmen.

Heute bin ich von Jianshui mit dem Bus nach Kunming gefahren. Ein luxuriöseres Busmodel diesmal, ich bin zurück in der Zivilisation. Auf dem Videoschirm läuft ein Film über chinesische Spieler in Las Vegas. Eine Gaunerkomödie. Chinesen sind einfach fasziniert vom Spielen.
Unterwegs wird die Landschaft eintöniger, Autobahn nun für den Rest der Reise, im allgemeinen flach, es wird intensiv Gemüseanbau betrieben, häufig auch unter Plastiktunneln. Auffällig sind die vielen riesigen neuen Moscheen. Saudiarabien engagiert sich wohl auch hier gerne. Man bringt die Religionen jetzt nach China zurück, auch die Japaner sollen aktiv beteiligt sein, den Buddhismus in China wieder aufleben zu lassen.

Freitag, 23. Oktober 2009



Jianshui, 21. Oktober 2009

Von Xingxi ist die Strase steil ein paar hundert Meter abgefallen nach Nancha, das merkwürdigerweise immer noch unter dem Namen Yuanyuang läuft. Die Stadt liegt auf einem tief eingeschnittenen Talboden, hier hat es keine Nebelschwaden mehr, es ist heiss, Palmen säumen den Strassenrand und bunt blühende Bougainvilleas hängen über die Mauern. Die Hügel ringsherum sind baumlos, von einer Garrigue ähnlichen Vegetation bewachsen, so trocken und kahl und ockerfarben und staubig war es schon lange nicht mehr. Gleich darauf schraubt sich die Strasse auf der Nordseite des Flusses unglaublich steil in die Abhänge eines Seitentales hinauf, die Ausblicke sind atemberaubend, die Kahlheit der Berge ebenfalls. Erst als wir wieder in grosser Höhe oben angelangt sind, beginnt der Nebel und damit erste Reisterrassen und Dörfer. Nach einem kurzen Plateau fällt der Weg bereits wieder ab, kahl die Hänge wieder, die Erde intensiv orangerot leuchtend, besonders dort, wo sich grosse Erosionstrichter gebildet haben und am schönsten vor grünen Föhren oder den hier angepflanzten Eukalyptusbäumen. Mr.Patersons Gegend, hier betreibt Sunshine Technology Wiederbewaldungsprojekte mit Eukalyptus. Und ehrlich gesagt, wenn der hier wachsen will, dann ist das sicherlich gut. Ganz offensichtlich sind die Hänge nach der Abholzung – man hat jetzt Mühe, sich vorzustellen, dass die einmal bewaldet waren – gänzlich ausgemagert, der Boden ist sehr arm, von selbst kommt hier kaum wieder Wald auf. Ein riesiges Gebiet ist das, das kann man sich in der Schweiz gar nicht vorstellen.

Heute habe ich schon wieder Glück gehabt in dem Sinne, dass ich problemlos ein gutes günstiges chinesisches Hotel gefunden habe, ich mag das Zimmer sehr. Nur sind am Abend in den Zimmern ringsherum offensichtlich vergnügungswütige Chinesen eingezogen, die sich ihr Leben mit Reisen und – des Abends eben, was kann man denn sonst machen in einer kleinen Provinzstadt - spielen versüssen wollen. So befinden sich momentan in meinem Nebenzimmern rund 10 Chinesinnen und Chinesen und spielen Karten. Ob sie dazu trinken, das weiss ich nicht. Dass das einen ganz fürchterlichen Krach macht hingegen schon. Dabei liegt mein Zimmer auf der Rückseite des Hotels, mit wunderbarem Blick über die tieferen alten Häuser, es war eine ruhige Nacht zu erwarten.
Ich bin nun in Jianshui, einem weiteren Ort, der erst daran ist, vom Tourismus erschlossen zu werden und in meinem Reiseführer gar nicht vorkommt. Es gibt hier einen Konfuziustempel und eine Altstadt, die noch wirklich Altstadt ist, will heissen lebt, obwohl auch hier sicherlich etliche Häuser nicht wirklich alten Datums sind sondern nachgebaut. Auffällig ist der für China hohe Anteil an verschleierten Frauen – nicht mehr als in Bern, das doch nicht - das habe ich im ganzen Süden sonst nie gesehen. Habe ich wohl deshalb heute etwas länger gebraucht um mein Abendbier zu finden, das ich mir wie immer, während des Schreibens im Hotelzimmer genehmige?
Jianshui ist noch eine ganz normale lebhafte Stadt, da würde ich gerne bleiben, doch mittlerweile habe ich einen strikten Fahrplan, am 30.Oktober ist Abreise. Die Abenddämmerung verbringe ich im Park und auf den grosszügigen Plätzen rings um den Konfuziustempel. Die Stunde, wo es alle aus den Häusern lockt. Die Vogelfreunde haben ihre Singamseln bereits in die Bäume gehängt und hören andächtig zu. Ein paar Drachenfreunde haben ihre Papiertiere in die Luft steigen gelassen wo sie um die Wette fliegen mit den viel wendigeren Fledermäusen, die Eltern kommen mit ihren Kleinen, für die es ein Karussell und weitere Spielzeuge hat, die Älteren vergnügen sich an Billardtischen, die im Freien stehen und des nachts zugedeckt werden, und alte Leute machen ihre Spaziergänge, Schüler wandeln in den Parks herum und lernen laut ihre Texte auswendig oder lesen sie mindestens ab. Ein friedlicher Herbstabend, ich fühle mich wohl.


Xingxi, 20. Oktober 2009

Die Chinesen sind ein sehr energiebewusstes Volk. Sobald irgendwo ein Licht nicht mehr benötigt wird, kommt sofort jemand und schaltet es aus. Und in den Hotelzimmern sind die Glühbirnen meistens derartig schwach, dass es praktisch unmöglich ist, zu lesen. Seit ich mir eine starke Glühbirne gekauft habe, kann ich das wieder bequem tun, so manch düsteres Hotelzimmer hat sich damit in bestem Licht gezeigt. Energiebewusst sind die Chinesen auch in dem Sinne, dass südlich vom Yangtse nicht mehr geheizt werden darf. Oder durfte, das ändert sich wohl etwas. Obwohl da winters durchaus auch Temperaturen um den Gefrierpunkt herum vorkommen können. Ein letztes leidiges Thema dazu ist das Warmwasser. Ganz selten kann wirklich heiss geduscht werden. Auch hier habe ich eine Methode entwickelt. Ich giesse heisses Wasser aus der Thermoskanne oder dem Teekocher ins Lavabo, so kann ich mich wenigstens warm waschen, etwas, das ich bereits wieder schätze. Der Herbstnebel kriecht des abends über die Berghänge, die Nächte sind kühl und feucht und er bleibt auch am Morgen noch lange liegen.
Diese Energiesparmanie, die ja lobenswert ist, macht ebenfalls, dass eine kleine Stadt wie Xingxi bereits um sieben Uhr abends im Dunkeln liegt, die Tage werden kürzer, das ist in China genauso spürbar. Ich gehe der langen Strasse entlang, die über den buckeligen Grat führt, von Geschäften gesäumt, die aber die meisten bereits geschlossen sind, eine Strassenbeleuchtung existiert nicht, zwangsläufig eine Fussgängerzone, denn zwischendurch gibt es Teilstücke mit Treppen. Beidseitig Ausblicke durch schmale Seitengässchen, die schwindelerregend steil, meist Treppen, hinunterführen. Dies ist der hauptsächliche Reiz von Xingxi, einem Ortsteil von Yuanyuang, das für seine Reisterrassen berühmt ist. Noch nicht allzu sehr, der chinesische Massentourismus ist nicht hier angelangt. Zu abgelegen wohl. Aber wahrscheinlich auch, weil sich Berghänge schlecht vermarkten lassen. Wo soll man da Eintritt verlangen?

Yuanyuang ist zwar eine angenehme kleine Stadt, doch beschliesse ich trotzdem, heute weiter zu reisen. So viele – und auch noch weit schönere - Reisterrassen habe ich auf meiner dreitägigen Reise durch das Gebirge gesehen, da kann mich dieser Ort nicht mehr sonderlich beeindrucken.

Zum Thema Emanzipation. Warum gibt es in der Schweiz eigentlich nie Proteste, dass nicht gleich viele Frauen wie Männer Bauarbeiterinnen, Strassenwischerinnen oder Abfallentsorgerinnen sind? Da würde sich doch ebenfalls eine Quotenregelung aufdrängen. Hier in China mindestens, werden auch diese Arbeiten gleichermassen von Männern wie von Frauen erledigt. Überhaupt kann man hier das Schema von Männerberuf und Frauenberuf offensichtlich gänzlich vergessen. Ich weiss nicht, wie heutzutage die Leute hier ihren Beruf auswählen. Wohl kaum nach Wünschen und Träumen, wenn sie Glück haben vielleicht nach Neigungen. - Während der Kulturrevolution war das klar, da sagte die Partei, was für Leute sie brauchte, der einzelne hatte nichts zu seinem Schicksal zu sagen. Auch Intellektuelle wurden in Fabriken und zur Landarbeit geschickt. - Selbst heute machen die meisten Leute in China eine Arbeit, die körperlich sehr anstrengend ist und in der Schweiz wohl von der Suva verboten wäre. Männer wie Frauen.