Dienstag, 22. September 2009
Nanjing 2009-9-12
Der Wassereimer, der unten mitten im Gang der Herberge stand, weil offensichtlich eine Wasserleitung in der Decke leckte, ist heute Morgen, am dritten Tag meiner Anwesenheit hier, verschwunden. Mir fällt das auf, ich hätte es nicht erwartet. Denn die Glühbirne, die in unserem Zimmer kaputt ist, und worüber sich Geri beklagt hat, wurde nie ersetzt. Überhaupt ist das Hotelzimmer von dieser merkwürdigen kommunistischen Abgefucktheit, die ich auch schon in Osteuropa erlebt habe. Fernseher zwar, Schränke, Stühle, Spiegel, Tischchen und Nachttischchen, Vorhänge und Spannteppiche, alles ist da. Und alles etwas schmuddelig und vergammelt. Der Spannteppich mit Flecken, die Schranktüren schief, die Vorhänge heruntergerissen, der Fernseher funktioniert nicht. - Und der Vergleich mit Afrika. Dort ist in einem einfacheren Hotel einfach nichts. Roher Betonboden, ein Bett mit Moskitonetz, wenn es ganz hoch geht vielleicht ein Stuhl und ein Hacken an der Wand. Trotzdem wirkt dies auf mich weniger trostlos. Aber dann auch die Preise: China ist immer noch wesentlich billiger als Afrika. Für 20.- bis 25.- Franken gibt es in Afrika an Orten, die einfach von Touristen erreicht werden können, kaum ein Hotelzimmer mehr.
Und wo ich mich wirklich in meinen Vorstellungen von China getäuscht habe: China scheint mir nun wirklich kein Schwellenland mehr zu sein. In vielem haben uns die Chinesen bereits überholt. Städte in amerikanischem Stil – Geri, die Amerika kennt, meint, nur chaotischer und lauter. All diese Wolkenkratzer, Statussymbole wohl häufig, da gibt es nicht nur langweilige Einheitsarchitektur. Und zwischen Shanghai und Nanjing, das sind gut 300km, die ein Schnellzug in 2 Stunden durchrast, kommt man eigentlich nie wirklich aus dem Häusermeer heraus. Gebaut wird überall, neue Strassen, neue Zugtrassees, neue Untergrundbahnen, das Land ist eine einzige Baustelle. Ganz unglaublich, dass bei diesem Tempo alles funktioniert und eine gute Infrastruktur vorhanden ist. Die Untergrundbahnen funktionieren mit elektronischen Karten, die automatisch abgebucht werden, wenn man das Portemonnaie darüber hält, kein mühsames Auspacken mehr und in Shanghai kann man damit auch gleich noch die Taxifahrer bezahlen, „Brave new world“, nix von rückständig, die Chinesen haben uns klammheimlich überrundet - mindestens soweit ich nun Einblick habe. Ein grosser Teil der Bevölkerung lebt jetzt in diesen riesigen Ballungszentren, da gehört die rückständige Landbevölkerung - ähnlich wie bei uns der Senn auf der Alp - wohl eher einer aussterbenden Spezies an.
Was sich zwischen Shanghai und Nanjing geändert hat? Eigentlich nicht allzu viel. Immer noch Riesenstädte, Wolkenkratzer, enorm viele Menschen, viel Lärm, der Himmel ist häufig grau, die Sonne nie voll scheinend. Die Temperaturen hingegen sind angenehm. Am Abend sogar etwas kühl, man kann ein T-shirt gebrauchen. Tagsüber geht man auch hier eher dem Schatten nach, aber die Hitze ist nicht übertrieben, obwohl man Nanjing einen der drei Hochöfen Chinas nennt. Gestern meinte ein junger Student, so Mitte Oktober, da werde es kalt sein, so um die 16 Grad. Dennoch betrachte ich etwas misstrauisch, wie Frauen, viele Chinesinnen scheinen das auch zu lieben, sich dicke Pullover stricken. – Daneben ist hier alles etwas weniger perfekt als in der Vorzeigestadt Shanghai – obwohl das mit der Metro und dem neuen Bahnhof auch nicht stimmt – und etwas schmutziger. Doch immer noch weit entfernt von dem, was ich mir vorgestellt habe.
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»China scheint mir nun wirklich kein Schwellenland mehr zu sein. In vielem haben uns die Chinesen bereits überholt. Städte in amerikanischem Stil – Geri, die Amerika kennt, meint, nur chaotischer und lauter.« Unser eurozentrismus erfindet solche wörter. War China je so etwas? In letzter zeit scheint mir - subjektivität sei gestattet - es sei eine starke neue welle "ex oriente lux" aus China im gange. M
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