Dienstag, 22. September 2009





Wuhan 2009-9-14

Heute wird geduldig Schlange gestanden vor den Postämtern und auch vor den Filialen der „Bank of China“. Ist wohl Zahltag?

Das „Wuhan Art Museum“ ist gleich um die Ecke. In unseren Schriftzeichen angeschrieben finde ich ferner noch „glorious history“. Und 9-17, tickets until 16. Um zehn Uhr morgens aber ist die Türe verschlossen. So wie sie es gestern Nachmittag auch war. All das Übrige, das auf den Schildern steht, verstehe ich leider nicht, es ist nur in chinesischen Schriftzeichen geschrieben.

Nicht weit von meinem Hotel gibt es ein Restaurant, das auf dem breiten Gehsteig bis zur Strasse hin unter den Platanen niedrige Zäunchen aufgestellt hat und darin verschiedene Laufvögel hält, Wachteln, Truthahnartiges, Pfauen und Hühner, Weisse und Schwarze Schwäne. Eigentlich könnten die gut entweichen, doch tun sie das offensichtlich nicht, es gibt ja genug Futter. Tauben dann, wohl zum Essen, zu mehreren in engen Käfigen, und dazwischen ein paar Aras angekettet auf ihren Stangen. Um 10 Uhr abends immer noch grelles Licht und viel Lärm. Die grossen Urwaldvgel scheinen mir unendlich müde und traurig, sind aber immer noch wach. Mitten unter diesen Vögeln dann noch ein enger Käfig, in dem eine einzelne schwarz-weisse Katze gehalten wird. Sie kann sich kaum bewegen und liegt meist apathisch herum. Ihre Bestrafung, weil sie versucht hat, sich etwas vom Federvieh zu schnappen? Jetzt sitzen die Vögel auf ihrem Käfigdach, sie scheinen keine Ahnung davon zu haben, dass dies eigentlich ein Feind ist. Oder machen sie sich über die Katze lustig?

Chinas Verhältnis zu Tieren. Besser nicht hinschauen, meint Geri. Und hat wohl recht damit. Hunde werden immer beliebter, vor allem Schosshunde. Ich verstehe dies in dem Sinne, das wohl manche Frauen mit der 1-Kind-Politik ihre mütterlichen Triebe nicht voll ausleben können. Die Tiere werden oft wahnsinnig verhätschelt. In einem Park in Nanjing schauen wir zu, wie drei Frauen mit zwei Pudeln grillen. Viel Fleisch wird gebraten, auch Mais und Kartoffeln. Und die beiden Pudel sitzen mit den Frauen am Tisch. Die Pudel allerdings nicht auf den Bänken, sondern direkt auf dem Tisch. Mir graust davor. Des abends, beim Einnachten, sieht man die Frauen mit ihren Hündchen und auch diejenigen mit ihren Kleinkindern draussen promenieren. Tiergerecht ist auch das nicht besonders. Kindergerecht vielleicht auch nicht.

Ich gehe von der Fussgängerzone aus Südwärts, denn es nimmt mich Wunder, ob ich diese Jugendherberge, die in dem Führer sehr angepriesen wird, doch noch finde. Die Telefonnummer war leider nicht richtig. Als ich in die Gegend komme, verstehe ich warum. Der ganze Stadtteil dort, eine Riesenfläche, vielleicht die Hälfte der Altstadt von Bern, ist gerade niedergelegt worden, hohe Wohntürme schiessen aus der Baugrube heraus. Auch den lobend beschriebenen Jugendstilbau in der Fussgängerzone, den ich in meinem Reiseführer gefunden habe, den habe ich leider bisher nicht gesehen und erwarte so Schlimmstes. China wandelt sich eben in einem Tempo, das wir uns gar nicht vorstellen können. Keine Ahnung, wie die Chinesen da mithalten, die müssen uns etwas voraushaben.

Wuhan liegt am Yangzi genau dort, wo ein Nebenfluss, der Han Jiang hinzuströmt. Der Strom ist hier wohl einen Kilometer breit. Eigentlich besteht die Stadt aus drei ursprünglich unabhängigen Teilen, aus Hankou, wo mein Hotel liegt und noch ein einigermassen intaktes koloniales Quartier erhalten geblieben ist, aus Hanyang südwärts des Nebenflusses und aus Wuchang am Ostufer des Yangtse. Zusammen soll das rund 5 Millionen Einwohner geben. Und irgendwie ist mir diese Stadt ans Herz gewachsen. Es ist hier zwar nicht ganz einfach, weil wenige Leute englisch sprechen und kaum westliche Touristen vorbeikommen, doch ist alles recht übersichtlich. Heute bin ich mit einem der Fährboote, die viertelstündlich nach Wuchang fahren, in diesen Stadtteil gegangen. Und habe damit nun doch erstmals den Yangtse befahren. In Nanjing, wo ich ursprünglich einsteigen wollte, um mit dem Boot hierher zu gelangen, habe ich es dann nämlich nicht geschafft. Zu erbärmlich erschien mir dieser träge braune Strom unter dem dunstiggrauen Dämmerlicht. Das Fährboot hatte innen ein Labyrinth von düsteren, mit dunkelbraunen Spannteppichen ausgeschlagenen Gängen, „Barton Fink“ lässt grüssen, die Kabinen waren klein und vergammelt. Als ich mir vorstellte, dass ich darauf drei Nächte verbringen sollte, da kamen Weltuntergangsstimmungen in mir auf, besser die Titanic in Sicht, ein beengendes Gefühl. Und so bin ich dann eben in drei Stunden mit dem neusten Superschnellzug hierher gekommen.

Wuchang auf der anderen Seite des Stromes entpuppt sich ebenfalls als sehr angenehmer Ort, hier liegt die Universität der Region. Erst bin ich auf einen bewaldeten Hügel hinaufgestiegen, auf welchem der „Turm des gelben Kranichs“ steht. Ein Park mit Pagode, von welcher man eine ausgezeichnete Aussicht über die Region hat. Allerdings versinkt auch hier der Horizont recht rasch in ein Einheitsgrau. Über den Yangse führt eine doppelstöckige Eisenbrücke auf die andere Seite nach Hanyang. Auf dem unteren Geschoss fährt die Eisenbahn, oben ist reger Verkehr. Durch einen neu nachgebauten kolonialen Strassenzug, Fussgängerzone mit Läden, auch Alleebäume sind frisch angepflanzt, gelange ich hinunter in den Park beim Brückenkopf. Dieses neu bebaute Gelände ist übrigens erstaunlich gut herausgekommen. Die Häuser sind alle in Backstein gebaut, die meisten in einem für uns ungewohnt grauen, einige auch rot oder gelblich. Das ganze wirkt natürlich gewachsen und nicht kitschig, nimmt zwischendurch auch moderne Elemente auf. – Und drüben in Hankou zerfallen immer noch alte Kolonialbauten und werden durch Wolkenkratzer ersetzt. Aber das ist wohl chinesische Mentalität. Man bevorzugt den Neubau, vor der Renovation. Und das Kopieren ist überhaupt nicht anrüchig. Hier bei diesem wirklich gelungenen Beispiel bin auch ich zufrieden damit. - Zurück zum Brückenkopf. Unten im Park sind Scharen von älteren Leuten - Handikapierte auch, scheint mir - daran um kleine Tischchen herum auf winzigen Sitzen Karten zu spielen. Um Geld natürlich, die Chinesen sind leidenschaftliche Spieler. Und eine Kakophonie unterschiedlichster Musik klingt herüber, der ich nun folge. Ich treffe auf ein Grüppchen älterer Leute, die um ein paar Musiker mit merkwürdigen Instrumenten herumsitzen. Ein Mikrophon gibt es auch und eine Frau singt zu den Melodien. Sofort wird mir freundlich ein Plastikstuhl angeboten, fotografieren darf ich auch, natürlich, und werde auch fotografiert. Unangenehm ist nur, dass mein Fotoapparat bereits einer älteren Generation angehört. Alle übrigen zeigen mir erfreut ihr Foto von mir auf viel grösseren Displays. Item, hier endet die Musik dann bald einmal und so gehe ich zur nächsten Gruppe, einer viel grösseren, wo Sängerinnen ihr bestes zu moderner chinesischer Musik geben. Auch hier bietet mir rasch ein chinesischer Crooner, Stil Frank Sinatra, Wellenlocke über der Stirn, weisse Hosen und weisse Schuhe, einen Plastikstuhl an und dann auch noch ein Glas Tee auf einem Plastiktischchen. Und will nichts dafür. Ich schaue dem bunten Treiben dort lange zu und begreife trotzdem nicht so recht, Leute, meist Männer, gehen zu der Sängerin, schmeissen einen Geldschein in den Kübel und nehmen eine oder mehrere künstliche rote Rosen aus einem weiteren Kübel und strecken sie der Sängerin zu. Der Kübel wird zwischendurch geleert, einmal ein Geldschein herumgezeigt, eine 100 Yuan Note und einmal geht eine der Sängerinnen herum und offeriert all den Geldspendern eine Zigarette. Im Allgemeinen scheinen mir diese Männer eher schmierige Typen, einer schmeisst eine Handvoll Geldscheine in die Luft, die dann rasch von den Helfern zusammengelesen werden. Doch auch eine Frau mit verkrüppelten Händen spendet viel Geld in den Topf.
Gleich nebenan führt eine lange breite Treppe hinab zum Fluss, wo sich eine Ansammlung von Menschen findet. Ich bin neugierig und sehe, wie zwei Männer mit Schwimmbrille und Badekappe sich eben startklar machen. In einem Plastiksack auf einen Schwimmring gepackt ziehen sie ihre Kleider im Fluss hinter sich her. Zielstrebig schwimmen sie durch die trüben braunen Fluten dem weit entfernten gegenüber liegenden Ufer zu, wobei sie von der Strömung flussabwärts getragen werden. Mitten in diesem trüben und wohl stark verschmutzten Wasser. Mitten zwischen den, doch recht vielen grossen Lastkähnen und Fährbooten hindurch. Später kommen noch etliche Männer, sogar Frauen, und stürzen sich in die Fluten. Meist ziehen sie hinter sich einen orangen Ball durchs Wasser. Wohl dass man sie besser sieht. - Ich bin gänzlich fasziniert von diesem fröhlichen Freizeittreiben in solch einer Riesenstadt, die für uns Westler doch rech wenig Liebenswürdiges hat.

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