Dienstag, 22. September 2009







Wuhan 2009-9-14

Apropos Gebräuche: Hier – wie bei vielem - sind unsere Vorstellungen falsch. Also rülpsen habe ich bisher noch keinen Chinesen gehört bei Tisch, überhaupt scheinen mir ihre Essensgewohnheiten sehr gepflegt bis sogar gestelzt. Nichts wird mit den Händen berührt, selbst Fleisch am Knochen und riesige Gebäckkugeln werden mit den Stäbchen aufgepickt und so genagt oder gegessen, ich muss da noch etwas üben. Was hingegen stimmt und für uns doch etwas gewöhnungsbedürftig ist, ist die allgegenwärtige Spuckerei. Kultivierte Leute werden sich hierfür einen Abfallkübel suchen oder die Sache sonst günstig platzieren, doch dieses hässlich laute Geräusch oft gleich neben den Ohren ist schon sehr gewöhnungsbedürftig. Vor allem, weil es gerade die Männer sehr lieben, die Spucke äusserst geräuschvoll heraufzuholen. - Auch heute Morgen wurde ich von solch einem lauten Spucken geweckt, natürlich nicht in meinem Zimmer. Mein Fenster blickt über die Dächer eines alten zweistöckigen Wohnquartieres hinweg und da unten leben die Leute eben ganz normal vor sich hin und waschen und sprechen und singen und spucken.

Nach einem kurzen Spaziergang durch den Park am Yangtse und später durch das koloniale Viertel habe ich mich getraut, in eines dieser Suppenrestaurants zu gehen, die drinnen und auf dem Trottoir ein paar Tische haben. Und bin schliesslich an einen Tisch gesessen, an dem bereits eine Chinesin sass. Die Raviolisuppe war ganz ausgezeichnet und meine Tischgenossin entpuppte sich als erstes englisch sprechendes Wesen in Hankou. Sie sprach sogar sehr gut, denn sie studiert Linguistik, so dass ich zu einem interessanten Gespräch kam und einem vollen, aber leichten Bauch, der sich momentan sogar ruhig verhält. Worüber ich sehr glücklich bin, denn die Lammkoteletten, die ich am Abend gegessen habe, waren von einer sehr scharfen Pfeffersauce bedeckt, die mir eine äusserst unangenehme Nacht gebracht hat, mit Messerstichen im Bauch und Durchfall.
Das einzig Störende hier ist der graue Himmel, den ich auf die Dauer deprimierend finde, obwohl die Sonne immer wieder heiss durchdrückt. Meine Tischnachbarin meinte, das sei die Jahreszeit, im Sommer sei der Himmel blau. Und natürlich auch der Smog. Doch nicht vergleichbar mit dem Zustand, wie er noch vor 10 Jahren existiert habe. - Dies also wäre nun der zweite Hochofen Chinas. Es ist deutlich wärmer als in Nanjing, aber für mich immer noch sehr angenehm.

Die Sache mit den Toiletten. Wahrheit und Gerüch(t)e. Erstmals: So schmutzig sind sie nun wirklich nicht. Auch hat es genügend öffentliche Toiletten, denn in vielen alten Quartieren haben die Häuser noch keine Badezimmer, so dass diese Gemeinschaftstoiletten eine Notwendigkeit sind. Heute sind das aber nicht mehr grosse, gemeinschaftliche Räume, sondern es gibt Abtrennungen. Allerdings sind die oft mit Türchen im Stile von Westernsaloons versehen, der Kopf beleibt dabei sichtbar und zusätzlich kann man sie häufig nicht abschliessen. Und selbst wenn dies möglich ist, scheinen es viele Frauen zu bevorzugen, die Türen offen stehen zu lassen - wahrscheinlich noch ein Relikt aus früheren Zeiten.

Wenn ich hier Probleme habe und man mich nicht verstehe, dann solle ich junge Leute suchen, meint die junge hübsche Chinesin, die mich mit ihrer Freundin in einem kleinen Supermarkt auf englisch anspricht. Junge Leute, meint sie, die müssten Englisch in der Schule lernen und würden das zumindest gut verstehen und mir helfen können. Sie selber spreche ein gutes Englisch, weil sie es liebe, amerikanische Filme zu schauen. Und doch, es habe noch andere Westler in der Stadt, erst vor drei Tagen habe sie mit welchen gesprochen. Die träfen sich spät abends unten am „Bund“, der Prachtpromenade entlang dem Yangtse River in den teuren Restaurants und Bars.
Einen Schwarzen – den ersten seit Shanghai – habe ich heute übrigens auch gesehen. Er war mit einer jungen Chinesin zusammen. Ein Feriensouvenir wahrscheinlich, China ist nicht wirklich ein Einwanderungsland. Auch wenn China dazu bereit wäre, würde das selbst für einen Afrikaner wenig Sinn machen, denn die Lebenskosten sind beispielsweise in Tanzania höher als in China, die Gehälter hier noch kleiner. Irgendetwas stimmt nicht so ganz an diesem Währungssystem. China und auch viele Teile von Osteuropa sind doch eigentlich viel zu billig für uns, wären es selbst für Afrikaner. Nimmt man das in Kauf, um im internationalen Wettbewerb besser gestellt zu sein oder gibt es noch andere Gründe, die ich einfach nicht durchschaue? Und: Wird der nun anwachsende Touristenstrom – auch von Ausländern, muss man sagen – die Preise hier ebenfalls in die Höhe schrauben, denn natürlich merkt man, dass sich selbst Rucksacktouristen viel mehr leisten können. Auch kriegen die Langnasen, die in China arbeiten kommen, westliche Saläre und haben damit viel Geld auszugeben verglichen mit den Einheimischen - und auch neue Bedürfnisse.

Apropos Tourismus: Auch dies etwas, das ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte: Die Chinesen lieben es nun, wo es möglich ist, herum zu reisen und Sehenswürdigkeiten anschauen zu gehen. Es ist nicht so, dass man als Westler in Tempeln oder königlichen Gärten oder Museen und weiterem, unter sich wäre, wie ich mir dies von Afrika her gewohnt bin. Ganz im Gegenteil, unter den unheimlichen Mengen chinesischer Touristen fallen die wenigen Langnasen auch dort auf.

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