Dienstag, 13. Oktober 2009





Dali, 10. Oktober 2009

Endlich habe ich mich für einen Weg entschieden. War das ein Kampf und ein Unwohlsein. Gestern habe ich mich hinter den Reiseführer geklemmt, um zu planen wie meine Reise weitergehen soll, denn es wird mir bewusst, dass nur noch drei Wochen bleiben, es muss ausgewählt werden, da wäre noch so vieles, das ich gerne gesehen hätte. Ich habe nun - Schande über mich – zunächst eine bequeme Variante ausgewählt. Eigentlich wollte ich mit dem Bus über die Gebirge vom Tal des Yangtse in das Tal des Mekong hinüberreisen. Allerdings wird dies als recht beschwerliche Busfahrt von 2 bis 5 Tagen beschrieben. Durch sehr malerisches und unberührtes Gebiet. Hier in Dali Gucheng, der Altstadt, hätte ich nur einen Luxusbus buchen können, der in 18 Stunden über Nacht dort hinunter gefahren wäre. Da hätte ich aber nichts von der Landschaft gesehen, das machte keinen Sinn. Nun habe ich ein Flugticket gekauft, Sonntag Mittag fliege ich erstmals chinesisch und am Nachmittag bin ich bereits im subtropischem Klima 500km weiter südlich.
Auch bei diesem Entscheid kommt mir Laotse in den Sinn. So viele Wege sind immer offen. Und alle können richtig oder falsch sein, das kommt wohl immer auf einen selber an. Was nützt es, sich den Kopf zu zerbrechen und die beste Variante ausfindig zu machen? Es gibt keine beste Variante. Und mein Blickwinkel ist sowieso hauptsächlich derjenige von Stefan Loose, Reisebuchherausgeber aus Berlin. Seine Tipps fand ich nicht immer genial, oft fand ich zufällig viel besseres. Und würde eigentlich allen Asienreisenden empfehlen, den „Lonely Planet Guide“ zu wählen. Der ist zwar grafisch weniger schön gestaltet (was schlussendlich bei mir den Ausschlag gab, anderes konnte ich ja beim Kauf nicht überprüfen), aber ungleich viel nützlicher ist. Allerdings in Englisch.

Zögern ist eine Plage beim Reisen. Verlieren ebenfalls. Ein Laster, das ich einfach nicht los werde. Als erstes, bereits nach einer Woche, liess ich mein schönes, aus einem indischen Reissack selber gemachtes Labtoptäschchen im Restaurant liegen. Es war später nicht mehr dort. Als zweites liess ich beide Ladegeräte, ich habe mein normales Telefon und ein Telefon mit einer chinesischen Nummer, in den Steckdosen auf dem Schiff durch den 3-Schluchtenstausee stecken. Das merkte ich erst bei Bedarf in Chonqing. Ich finde es übrigens sehr empfehlenswert, hier ein Telefon mit einer chinesischen Nummer zu haben. Man kann einfach selber Hotels reservieren und die verlangen oft auch eine Nummer, weil wohl viele Leute nur buchen, dann aber gar nicht kommen. Auch beim Geld wechseln auf den Banken ist diese Nummer hilfreich, man muss dann nicht immer den Namen des Guesthouses kennen, in dem man gerade logiert. Dies führt mich zu einer Beobachtung, die ich hier täglich mache. Wenn irgendetwas auf dieser Welt wirklich international sein sollte, dann sind es die Klingeltöne der Natels. Den Standart-Nokia-Ton, den ich über Jahre verwendet habe, den höre ich hier überall. Ganz offensichtlich ist es den Chinesen – abgesehen von den Jugendlichen – genauso wenig wichtig wie mir, da Originalität zu zeigen.
Zum jüngsten Verlust schliesslich. Gestern habe ich meine Schirmmütze, die mich jahrelang begleitet hat, auf einem Spaziergang liegen gelassen, als ich sie auszog um mich des Pullovers zu entledigen. Eigentlich hätte ich noch ziemlich genau gewusst wo, ein paar hundert Meter weiter oben im Wald. Fand es dann aber doch nicht wert, zurückzukehren, schliesslich habe ich vor zwei Wochen einen chinesischen Hut gekauft. Auch soll man nicht an materiellen Dingen hängen, dies lernt mich ebenfalls Laotse. Und wenn ich so weiter mache und weiser und weiser werde, dann komme ich vielleicht vollkommen ohne Ballast zurück in die Schweiz.

Heute sehe ich erstmals Schulkinder in Uniformen. Die Älteren tragen einen blauen Anzug, vom Schnitt her etwas zwischen Uniform und Matrosenanzug. Die Kleinen eine Art Traineranzug, entweder rot und weiss oder grün und weiss. Samstag scheint mir ein komischer Tag für den Schulbeginn.

Ich besuche das Museum im Zentrum der Altstadt. Die Wächter sitzen halb schlafend an ihren Pulten, ich bin die einzige Besucherin, das Licht in den Vitrinen wird nicht angezündet. Der Eintritt kostet auch nur 5 Yuan, also 90 Rappen. Die echt alten, teilweise zerbrochenen Sachen hier interessieren offensichtlich kein Schwein. Während die vielen kürzlich erst nachgebauten kitschigen Tempelanlagen tausende von Besuchern anziehen, da bezahlen Chinesen gerne ein Vielfaches dafür, Busladungen voller Leute werden dorthin gekarrt. Im Museum hat es alte Keramikfigürchen aus der Ming Zeit, witzige Tierfiguren zum Teil, und natürlich Reiter mit wilden Rössern. Im Garten rund um das Museum, der übrigens sehr schön gestaltet ist, stehen alte Steintafeln mit Schriften darauf, ich vermute, dass es sich um Grabtafeln handelt, leider ist das meiste nur Chinesisch angeschrieben. Was auch seinen Vorteil hat. Wie häufig wird meine Aufmerksamkeit abgelenkt durch dieses ewige Lesen! Einfach nur schauen und bewundern ohne wissen zu müssen. Ich geniesse das. Im weiteren wird im Museum eine Fotoausstellung gezeigt mit grossen schwarz-weiss Portraits von alten Leuten. Viele interessante Gesichter, eine gute zeitgenössische Fotoarbeit. Interessant finde ich vor allem auch den Raum mit den Bai-Batiken. Seit längerem sind mir diese Stoffe aufgefallen. Meist sind sie blau, mit fein eingearbeiteten Mustern, die – wie ich jetzt lerne - durch das Abbinden von zum Teil winzigen Zipfelchen entstehen. Meisterhaft gearbeitete Stoffe – auch wenn sie nicht ganz meinem Geschmack entsprechen. Auf den Fotos im selben Raum stelle ich endlich fest, welches nun wirklich die Bai-Trachten sind, denn es gibt hier so viele verschiedene Ethnien. Die Bai-Frauen tragen mehrere, hintereinander gelagerte hohe, kronenartig aufgesetzte, dicht bestickte breite Bänder auf dem Kopf. - Obwohl ich denke, dass dies nur gerade die Festtracht ist, ich habe die Frauen im Dorf meist mit viel einfacheren, turbanartigen Gebilden auf dem Kopf gesehen. Diese aufwändigen Kopfbedeckungen sieht man heute eigentlich nur noch beim Personal von gehobenen chinesischen Hotels. Oder bei den Angestellten eines Supermarktes. Oder bei den Hostessen, die die Luxusbusse begleiten und am Anfang einer mehrstündigen Fahrt die Billets kontrollieren und ein Fläschchen Wasser verteilen. Was sie im Weiteren zu tun haben, ist mir nicht klar.

Hier in Dali hat es auffällig viele Studios, die Massagen anbieten, Füsse, Körper, Kopf, auch Thaimassagen und viele Ort preisen sich als medizinisch wirksam an. Alles hier auch in englischer Schrift angeschrieben und gut doppelt so teuer, wie ich mir das gewohnt bin. In meiner Strasse sehe ich mehrere Kosmetikinstitute, die nicht mit unseren Buchstaben angeschrieben sind. Ich habe Lust, mich verwöhnen zu lassen und dieses Erlebnis auszutesten. Auf eine Liege werde ich gebettet, warm zugedeckt und während einer Stunde werden mir nicht nur verschiedenste Salben, Packungen und Wässerchen aufgetragen, nein auch das Gesicht, die Kopfhaut, der Nacken und schliesslich Arme und Rücken massiert, so dass ich den Salon nach einer guten Stunde völlig entspannt und natürlich viel schöner verlasse. Das ganze hat fast nichts gekostet, wenn ich die verschiedenen teuren Cremen noch davon abziehe, wurde aber eben auch nur auf chinesisch angeboten, die Frau sprach kein Wort Englisch. Was mich überhaupt nicht gestört hat, im Gegenteil. Während der ganzen Behandlung sprach sie mit ihrer Kollegin, die gerade nichts zu tun hatte und der Fernseher lief. Da war ich recht froh, dass die Gespräche nur eine Geräuschkulisse für mich bildeten.
In derselben Strasse habe ich auch erstmals in China Prostituierte angetroffen. Das läuft recht diskret: In kleinen Räumen im Parterre, die Türen sind nur halb geöffnet, sitzen auf Sofas junge Frauen vor einem Fernseher. Das Licht im Raum ist düsterrosa. Auffällig ist das ganze nicht, auch die Freier sind kaum bemerkbar.
Aber vielleicht stimmt ja auch, was mir die hysterische Amerikanerin in Lijiang anvertraut hat. Sie denke, bei chinesischen Männern, da laufe nichts in Sachen Sex. Da habe sie doch in Peking eine rund vierzigjährige Frau angetroffen, die ihr erzählt habe, ihr Mann habe seit einem Jahr nicht mehr mit ihr geschlafen. Das solle man sich einmal vorstellen! Und überhaupt spüre man das, in Italien oder Ägypten oder sonst wo auf der Welt, da würde man von den Männern beachtet, da passiere etwas. Doch hier, da habe sie noch nicht das Geringste verspürt. Und gleichzeitig beklagt sich die Amerikanerin darüber, dass es hier in den Hotelzimmern gratis Kondome hat, sowas habe sie noch nirgends auf der Welt gesehen. Was für eine Heuchlerin!

Zum Abschluss noch etwas Poesie der chinesischen Sprache: Diàn ying besteht aus zwei chinesischen Schriftzeichen. Wobei diàn elektrisch bedeutet und ying Wolke. „Elektrische Wolke“, ist die Bezeichnung für Film. Sprache hat eben schon sehr viel mit der Art des Denkens zu tun.

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