Montag, 5. Oktober 2009



Shaxi, 1. Oktober 2009

Über die Missverständnisse im Umgang mit Chinesen. Vieles verstehe ich natürlich immer noch nicht und das liegt nicht nur an der Sprache.

Nach meiner zweiten Exkursion mit Herrn Guo habe ich ihn gefragt, ob er mich noch einen dritten Tag herumführen könne, vielleicht in ein Dorf einer anderen Minorität, bisher hatten wir nur Naxi-Dörfer gesehen. Mr.Guo war etwas verlegen, schien zu überlegen und sagte mir schliesslich, nein, die schönsten Sachen habe er mir nun gezeigt. War irgendwie nervös und pressiert sich zu verabschieden. Ich fand das merkwürdig und fragte mich natürlich, was ich wohl falsch gemacht habe an diesem Tag. Einen Tage später telefonierte ich ihm und fragte, ob er vielleicht kurz Zeit habe, mir noch auf der Karte zu zeigen, wohin er denke, dass ich weiterreisen solle. Er war bereit dazu, sogar freundlich am Telefon, bei unserem Zusammentreffen aber doch wieder sehr nervös, er habe wenig Zeit. An ein Gespräch über seine Erlebnisse während der Kulturrevolution, etwas, das mir vor allem am Herzen lag, war nicht mehr zu denken.
Hier trotzdem noch sein mail und sein Telefon, ich habe ihm versprochen, etwas Werbung zu machen. Vielleicht kommt ja jemand anderes hinter das Geheimnis von Herrn Guo:
Tel. 13013477556 / e-mail: haifa33@21cn.com.

Gestern bin ich also dem Tipp von Mr.Guo gefolgt und südostwärts nach Shaxi gefahren. Alles hat bestens geklappt und das Städtchen ist genau das, was ich gesucht habe. Zwar Ess- und Übernachtungsmöglichkeiten, aber eben noch kein Massentourismus, ein normales Provinzstädtchen mit glücklicherweise gut erhaltener Altstadt.
In Janchuan musste ich in einen Minibus umsteigen. Das sind winzige private Busse, eigentlich für 6 Personen gedacht, in die schliesslich nach afrikanischer Art 11 Personen plus Gepäck hineingepfercht wurden. Der erste Chauffeur verwies mich an den zweiten, ebenfalls halbvollen Wagen. Schliesslich habe ich verstanden warum. Die Busse fahren, wenn sie voll sind und voll sind sie, wenn auf der Fahrerreihe 3 Personen, auf den zwei dahinter liegenden je 4 Personen Platz genommen haben. Ich war ganz zuhinterst im Auto, wir waren nur zu dritt dort und der Fahrer war bereit abzufahren, als noch ein weiterer Fahrgast kam, der erst von allen Fahrgästen abgewiesen wurde, aber nicht aufgab und auf den Platz neben mir deutete. Schliesslich bin ich etwas zur Seite gerückt um klarzumachen, dass ein weiterer Gast für mich kein Problem sei. Nach langem Palaver, stieg er dann auch ein. Und ich hatte ein komisches Gefühl. Offensichtlich war es den Chinesen klar, dass sie nicht so dicht neben eine Langnase sitzen konnten. Oder wollten. Und genau hier liegt das Problem. Liess man mir mehr Platz aus Respekt, aus Angst vielleicht auch – oder wollte man mir aus Abscheu nicht näher kommen? Diese Frage bleibt für mich unbeantwortet. Nach holpriger Fahrt durch die Berge – länger als ich mir das vorgestellt habe – hielt das Auto schliesslich in einem Dorf. Ich fragTe: „Shaxi?“ Meine Nachbarin, wir waren die ganze Zeit stumm, ich habe schon gar nicht erwartet, jemanden mit Englischkenntnissen zu treffen – meint „yes“. Hier müsse ich aussteigen. Ich war verwirrt.

Dann das Hotel hier. Ich finde ein wunderschönes einfaches Zimmer ganz nach meinem Geschmack. Nicht so billig, wie ich dies an einem derartig abgelegenen Ort erwartet habe, aber immerhin, ich hätte sogar mehr dafür bezahlt. Nachdem ich eingezogen bin, sagt man mir, nur bis Morgen sei es frei. Ich denke, die hoffen also auch noch, mehr Geld damit zu machen und frage dann am nächsten Tag – ganz in der Gelassenheit von Laotse, den ich im Moment lese - ob es denn wirklich nicht mehr frei sei. Und bekommen keine klare Antwort darauf. Was ich positiv deute und mich schon freue. Gegen Mittag muss ich mich aber vergewissern, denn ich habe bereits ein anderes einfaches Zimmer ohne Bad reserviert, alles, was während der Feiertage selbst an diesem abgelegenen Ort noch frei zu sein schient. Doch erst als wirklich massenhaft Gäste eintreffen, wird mir klar, dass ich hier sicherlich keinen Platz mehr habe.

Heute ist Nationalfeiertag. Man feiert 60 Jahre Volksrepublik China, ein rundes Jubiläum also. In Lijiang waren die Leute seit Tagen damit beschäftigt, die Stadt mit Blumen zu schmücken und Bühnen aufzustellen. Und täglich konnte man Gruppen von Leuten zuschauen, wie sie am Üben waren für ihren grossen Auftritt.
Hier in Shaxi haben die Leute den ganzen Tag normal gearbeitet. Die Bauleute arbeiteten auf ihren Baustellen, denn hier, wie überall in China, ist die Bautätigkeit enorm, die Bauern schnitten auf ihren Feldern Reis, von Hand natürlich, haben weitere Feldarbeiten erledigt und ihr Vieh am Abend nach Hause gebracht. Eine einzelne Kuh am Strick oder eine Handvoll Geissen. Und ich habe den ganzen Tag auf das grosse Ereignis gewartet. Das nicht kam. Bis auf ein paar Knallkörper am Abend, aber das gibt es sowieso regelmässig, die bösen Geister müssen damit vertrieben werden, sagt man mir. - Und natürlich die chinesischen Touristen, die doch in einer rechten Menge angereist sind. Sie fallen selbst mir einfach als Fremde auf, wie sie in dem Städtchen herum flanieren und fotografieren. Es scheint also auch Chinesen zu geben, die Ruhe suchen. Im allgemeinen gebildete Leute, stelle ich fest. Beim Skizzieren werde ich mehrmals angesprochen. Man spricht gut Englisch.

Nun läuft im Fernseher die Life-Übertragung der Jubiläumsshow aus Peking. Tausende von Leuten machen mit. Beängstigend dieses Menschenmaterial, das für die Choreografien eingesetzt wird. Monströs auch – und doch zugleich faszinierend. Grosse Perfektion der Bewegungen, Lightshow und Feuerwerke vom Besten. Und zwischendurch wird auf die Gesichter der hohen Politiker und Armeeleute geblendet, die mit unbewegter Mine dem Spektakel zuschauen.
Auch die Bar, in der ich sitze, ist ein Guesthouse, stelle ich fest, ich hätte das nicht bemerkt, denn an allen Häusern gibt es beidseits des Einganges rote Spruchbänder – gute Wünsche stünden darauf, belehrte mich Mr. Guo – lesen kann ich das natürlich nicht. Und gerade vier dieser Häuser bieten ihre Dienste auch in unserer Schrift an. Und selbst bei diesen bin ich nicht ganz sicher, ob sie wirklich froh um uns Langnasen sind. Mit grosser Freude hat hier noch niemand Englisch gesprochen – ausser den chinesischen Touristen, die meist aus Kunming kommen. Gerade die jungen Mädchen, die hier ihr Festtage verbringen wollen, sind offensichtlich sehr fröhlich und quietschen und lachen enorm laut.

Rote Lampions in der Strasse weisen in China übrigens nicht den Weg zu einem zwielichtigen Etablissement, sondern zu einem Gasthaus. - Allerdings gibt es auch hier Verwirrung, denn diese Dekorationen scheinen auch sonst beliebt zu sein. So war in Shaxi gestern das Aufhängen von roten Lampions in der Hauptgasse die einzige Aktion zu Ehren Maos. Hier habe ich übrigens auch noch keine Statue von ihm gesehen.

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