Freitag, 9. Oktober 2009
Dali, 4. Oktober 2009
Fünf Tage am selben Ort zu bleiben, ist wohl etwas zu lang, man gewöhnt sich daran, kennt sich im
Ort aus und hat bereits erste Bekanntschaften gemacht. Das Abreisen fällt dann bereits schwer. Wieder ins Ungewisse, man weiss nicht wo man landen wird. Doch ich merke, dass ich nun langsam vorwärts machen muss, mehr als die Hälfte meiner Zeit sind vorbei und schliesslich möchte ich auch noch etwas Zeit haben für den tropischen Süden, das Tal des Mekong, bevor ich schliesslich zum Postkartenbild von China reise, den Landschaften um Guillin, diesen merkwürdigen Kegelbergen, die in mir seit Jahren – ob auf Fotos oder in alten chinesischen Gemälden – eine grosse Sehnsucht geweckt haben. Die muss ich auf alle Fälle noch sehen. Obwohl man mir sagt, dass die Gegend mittlerweile unheimlich touristisch sei.
Am Morgen gehe ich mit meinem Gepäck zu der Stelle, wo die Minibusse warten. Ein Fahrzeug ist schon fast voll, ich steige ein. Plötzlich kommt ein Tramper mit riesigem Rucksack und fragt, was eine Fahrt direkt nach Dali koste. Der Fahrer zeigt ihm drei 100 Yuan-Scheine, der Typ willigt ein und der Fahrer lässt schleunigst alle bisherigen Gäste aussteigen, mein Koffer wird auf das Dach des nächsten Fahrzeuges gehievt, niemand murrt. Das versteht schliesslich jedermann, dass sich der Fahrer solch einen Deal nicht entgehen lassen kann. Statt vollgestopft mit Leuten für 30 Yuan nach Jianchuan zu fahren, fährt er nun eben für 300 Yuan nach Dali. Mich nervt das, wir Leute aus dem Westen können hier derartig protzig auftreten, nur weil wir mit unserer Währung die besseren Karten haben.
Ich fahre mit dem Minibus nach Jianchuang und dann mit dem regulären Bus weiter nach Dali. Das kostet mich 33 Yuan und vielleicht eine Stunde mehr Zeit. Dafür bleibe ich in Kontakt – im wahrsten Sinne des Wortes – mit den Einheimischen. Die mir sehr rührend helfen auf der Busstation, mein Gepäck bewachen als ich auf die Toiletten muss und erstmals den chinesischen Stallgrabentyp ausprobieren kann. Die moderne Version davon hat zwischen den einzelnen Plätzen hüfthohe Zwischenwändchen eingebaut. Ich stelle mich rittlings über den Graben, das scheint mir logisch zu sein, stelle dann aber fest, dass die übrigen ihr Geschäft von der Seite her erledigen.
Im Bus kriege ich den Platz gleich neben dem Chauffeur zugewiesen und kann so die Landschaft geniessen und einmal mehr die Fahrkünste der Chinesen bewundern. Der Rückreiseverkehr hat nun offensichtlich eingesetzt, wir kommen in einen Stau, der selbst dem Gotthard Ehre antun würde. Nur bleiben die Chinesen eben gelassen. Und ganz still steht der Verkehr auch nie. Die Strasse unten in der Hochebene führt durch endlose Reisfelder, in denen momentan eifrig gearbeitet wird, die Reisernte steht an, die einzige pro Jahr in dieser Gegend. Alles wird in Handarbeit gemacht. Mit der Handsichel geschnitten, die Garben dann auf den Boden gelegt. Anschliessend wird ein Entwässerungsgraben mit Hacken ins Feld gegraben, damit das noch vorhandene Wasser abfliesst. Später werden die Reishalme zu Garben gebunden, die dann zum Trocknen aufgestellt werden, was ähnlich aussieht wie unsere Heinzen. Sind die Bündel getrocknet, so wird in dieser Gegend eine Art überdimensionierter geflochtener Hut verkehrt ins Feld gestellt. Die Frauen - meist sind es Frauen, die diese Arbeit machen, doch gibt es keine klare Geschlechtertrennung bezüglich der Arbeiten - schlagen nun die Garben auf den flachen Rand des Hutes, so dass die Körner herausfallen. Ist fertig geerntet, wird von Hand Mist eingebracht und ebenfalls mit den Hacken der Boden gelockert. Einen Pflug sehe ich nirgendwo.
Und zwischen all diesem geschäftigen Treiben fliesst nun also der Rückreiseverkehr von Teilnehmern der chinesichen Gesellschaft, die ganz andere Probleme haben, ja eigentlich in einem ganz anderen Zeitalter leben. Alles friedlich beisammen. Die Bauern lagern zwischendurch ihre Misthaufen auf dem Pannenstreifen der zweispurigen Strasse, Garben von Reis liegen am Rande zum trocknen und der Verkehr der Städter, viele haben bereits einen eigenen Wagen, rollt ein- bis dreispurig talabwärts. Unser Bus wird immer wieder sowohl auf dem Pannenstreifen wie gleichzeitig auf der Gegenspur überholt, denn momentan fliesst viel weniger Verkehr talaufwärts. Kommt dann trotzdem ein Auto, dann weichen alle einfach ein wenig aus, machen Platz, auch der Wagen, der auf dem Pannenstreifen vorfährt wird problemlos wieder in die Spur hineingelassen, wenn er einer Kuh oder einem Misthaufen ausweichen muss, da ist man wirklich unkompliziert. Das Bild eines Trikotstoffes kommt mir in den Sinn, etwas Treffenderes finde ich nicht. Langsam dehnt er sich aus und zieht sich im gleichen Tempo auch wieder zusammen, alle haben da Platz, niemand ärgert sich, das fliesst wie ein einziger Körper. Wichtigste Regel scheint mir: Weder brüske Richtungs- noch Tempowechsel.
Chinesische Strassen sind übrigens immer erhöht über dem umgebenden Terrain gebaut. Manchmal fällt die Kante nur 30 Zentimeter ab, hier jedoch steht die Strasse auf einer mindestens einen Meter hohen Mauer, wohl wegen dem sumpfigen Terrain. Diese Bauweise finde ich übrigens bereits in den alten, kopfsteingepflasterten Gassen in Shaxi. Beim Ausweichen muss da sehr aufgepasst werden, etwas zu viel und schon ist ein Rad über den Randstein hinaus gefahren. Doch das gibt es hier nicht. Ich fühle mich auch im dichtesten Verkehr so sicher wie nirgendwo sonst auf der Welt. Der Buschauffeur übrigens schafft es, nebst dem aufmerksamen Fahren, auch noch auf mich zu achten. Als ich etwas in meiner Tasche suche und meine Kamera dabei zu Boden gleitet, ohne dass ich es merke, macht er mich darauf aufmerksam. Und als die Sonne zu scheinen beginnt, versuche ich, den Fensterflügel zu öffnen, doch er klemmt. Beim nächsten Halt des Busses wird der Chauffeur aufstehen und mein Fenster öffnen kommen. Auch das hat er ganz offensichtlich aufmerksam registriert.
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