Freitag, 9. Oktober 2009




Shaxi, 4. Oktober 2009

Ich muss meine Haare waschen und in dieser Kälte möchte ich das ohne Föhn nicht im Hotel machen. So suche ich einen Coiffeursalon und führe pantomimisch vor, was ich gerne hätte. Zwar nicht der Coiffeur, doch einer seiner Kunden versteht sofort was ich will. Allerdings habe ich dann fast etwas Mitleid mit dem armen Coiffeur, der sich unsere feinen Haare überhaupt nicht gewohnt ist. Nachdem er mir etwa eine viertel Stunde lang die Haare eingeseift und massiert und gespült hat, sehen die aus wie toupiert, und er braucht entsprechend lange, um das ganze wieder zu entwirren, was er sehr sorgfältig tut. Für weniger als 2 Franken das ganze, die Leute werden hier wirklich nicht reich. - Junge chinesische Männer, nicht nur die Coiffeure, lieben übrigens einen extrem femininen Haarstil. Die Haare sind abgestuft und lang geschnitten und werden stark auftoupiert und meist mit rötlichen oder blonden Strähnen versehen. Die Beatels haben auch lange Haare gehabt, das stimmt – das wirkt heute ebenfalls lächerlich auf mich – doch dies hier ist weit schlimmer. Junge chinesische Männer sehen aus wie getrimmte Pudel. Und man muss zweimal Schauen um sicher zu sein, ob es wirklich Männer sind, denn auch bei der Kleidung lieben sie Extravagantes.

Dann gehe ich mitten am Nachmittag zu der Frau, die genau in der Kurve der Dorfstrasse ihr Lokal hat. Sie kocht unter einem Wellblechdach vor dem kleinen Essraum mit niedrigen Holzbänken und Tischchen, so dass man ihr gut dabei zuschauen kann. Löffelweise schmeisst sie Gewürze in die verschiedenen vorbereiteten Schüsseln, giesst mit dem Schöpflöffel Öl und Sojacaue nach, alles mit Schwung, Eleganz und Geschwindigkeit. Und merkwürdigerweise stimmt die Würzung am Schluss genau, weder zu viel noch zu wenig, ich esse nicht das erste Mal bei ihr. Meistens deute ich einfach auf eine Speise, die sie eben zubereitet hat. Oder auf die Gemüse, die ordentlich aufgeschichtet ausgestellt sind. Das kommt immer gut. Heute gibt es kleine Fleischstückchen mit Knöchelchen, Schwein oder Ziege nehme ich an, beides weit verbreiteten Tiere hier, knusprig gebraten mit Chilischoten und Lauchstücken. Dazu weissen Reis.
Einigermassen erfolgreich bin ich auch beim Essen, heute schauen mir sehr viele Leute zu, was die Sache nicht erleichtert. Ich sehe, dass die anderen selbst diese kleinen Fleischstückchen mit Knochen und Knorpeln mit den Stäbchen in den Mund schieben. Was mir ebenfalls problemlos gelingt. Nun gilt es im Mund sorgfältig Knochen von Fleisch zu trennen, was schon etwas schwieriger ist, man muss da lutschen und saugen und schaben und schliesslich das Ungeniessbare einfach auf den Tisch oder den Boden spucken. Letzteres ist immer noch nicht ganz einfach für mich, doch ich mache mich langsam auch in dieser Sparte gar nicht so schlecht. Der Reis schliesslich ist ungesalzen und etwas klebrig und nach anfänglichem Missbehagen habe ich ihn lieb gewonnen als Beilage zu gut gewürzten Gerichten. Leider fallen mir immer noch häufig die Körner hinunter, man muss da eine Art Schaufeltechnik anwenden, bei der beide Stäbchen unbeweglich parallel gehalten werden. Dann entweder Kopf runter bis fast auf die Höhe der Schale oder dann - was ich bevorzuge - Schale hinauf bis dicht vor den Mund und einfach hinüberschaufeln. – Ich glaube, ich habe mich unter den kritischen Blicken – häufig wenn ich ein Lokal betrete, ist es innert kürzester Zeit voll – ganz gut gehalten heute.

Nicht ganz so erfolgreich war der Morgen. Am Mittag wurde ich von einem Gewitter nach Hause getrieben. Ich bin nochmals zum Shibao Shan, einem Berg in der Nähe gegangen, der sich dadurch auszeichnet, dass er von ganz speziellen roten Sandsteinfelsen geziert wird. Bereits die rote Farbe ist auffällig, doch noch auffällliger ist die merkwürdige netzartig gerundete Struktur der Oberfläche. Ich habe noch nie so etwas gesehen – ausser auf Landschaftsbildern von chinesischen Meistern. Und dort geglaubt, dass dies deren Fantasie entsprungen. Doch nichts dergleichen. Ich versuche mich ebenfalls in der Malerei und stelle unwillig fest, dass ich eben noch himmelweit vom chinesischen Können entfernt bin. Denn diese Maler haben ja nicht einfach abgezeichnet. Sie haben ihre Landschaften nicht vor Ort, sondern aus dem Gedächtnis gemalt. Ich selber gehe zwar nicht so weit, nehme mir jedoch vor, erst die Komposition zu machen und dann die Strukturen zu begreifen und erst dann mit malen anzufangen. Das gelang mir heute nur teilweise, viel zu wenig konnte ich mich von der Realität lösen. Ich muss das Morgen nochmals versuchen.

Übrigens habe ich denselben Berg bereits gestern bestiegen, und zwar bis ganz oben zu den Steinfresken, die in diese bizarren Felsformationen gehauen worden sind zu Zeiten als Shaxi eine wichtige Station auf der Pferde-Tee-Handelsstrasse - auch südliche Seidenstrasse genannt - gewesen ist. Die Steinskulpturen stellen Figuren aus dem Buddhismus dar, der damals, von Indien eingedrungen, in dieser Gegend wichtig war. Ich machte diese Wanderung zusammen mit einem älteren Herrn aus Südafrika, der in Kunming als Manager einer internationalen Forstwirtschaftsgesellschaft arbeitet. Kommerziell, meint er, man baue Eucalyptus an für die Papierherstellung. Doch achte man auf die Ökologie, Eucalyptus werde nur auf den Bergkuppen angepflanzt, nicht dort, wo er der Vegetation zu viel Wasser abzapfen könne. Er klärt mich auf über das Problem der Entwaldung hier in China. Nicht 6000 Jahre intensiver Kultur hätten dazu geführt. Das sei erst während der Kulturrevolution passiert, als Mao befohlen habe – aus einer Art Paranoja – alle Chinesen müssten all ihre metallischen Gegenstände abgeben, Werkzeuge, Schmuck, was auch immer. Man brauche das Metall, um daraus Waffen schmieden zu können gegen die Ausländer, die China angreifen wollten. So sei nicht nur alles Metall eingeschmolzen worden, sondern auch noch alle Wälder abgeholzt, denn zum Schmelzen von Metall brauche es sehr viel Energie. Und diese Wälder hätten sich bis heute nicht erholt, grosse Bäume gäbe es nur wenige. Obwohl es nun zum Fällen eines jeden Baumes eine Bewilligung brauche. Selbst seine Gesellschaft, die die Bäume ja selbst anpflanze, habe hart darum kämpfen müssen, nicht pro Baum, sondern pro Fläche Abholzbewilligungen zu kriegen.

4.Oktober heute, eigentlich habe ich gedacht, dass nun die chinesischen Touristen langsam wieder nach Hause gehen, gestern sind einige abgereist und auch heute Morgen wieder. Nur wurden sie im Laufe des Tages durch neue ersetzt. Wahrscheinlich wird es noch die ganze Woche lang schwierig sein, ein Hotelzimmer zu buchen, das habe ich vollkommen unterschätzt. Chinesen reisen nicht nur wahnsinnig gerne, nein, leider sind sie auch vorsorgend und scheinen ihre Ferien gut im voraus zu planen und zu buchen. Was mir das Weiterreisen sehr erschwert, denn ich bin das nicht.
Chinesen, die kein Chinesisch sprechen. Das habe ich bereits angetroffen. Heute Abend in der einzigen Bar hier, wo die Serviererin wirklich gut Englisch spricht, redet ein chinesisch aussehender Mann Englisch mit ihr. Ob sie Obama kenne? Sie kennt. Die ganzen Dialoge sind auf Englisch, doch schliesslich kriegt er ein Telefon und antwortet in einer Sprache, die für mich chinesisch tönt. Japanisch ist anders, finde ich. Was nun? meine Story zerfällt. Chinese zurück in seiner Heimat, Sprache kennt er nicht mehr. Japaner in China, spricht zwangsläufig Englisch mit den Leuten hier. Oder Chinese in China. Spricht Englisch, um seine Bildung zu zeigen, wie ich dies auch in Tansania erlebt habe – keine Ahnung, welche Geschichte nun stimmt.
Mein Nebenzimmer, hübsch, ich habe hinein geschaut, aber auch ohne Badezimmer und das scheinen chinesische Touristen heute ebenfalls zu missen, ist doch wieder besetzt worden. Statt des jungen israelischen Tramperpaares, ist nun ein chinesisches Paar dort einquartiert, die Frau telefoniert eben laut und lange. Ob das diese Nacht ruhiger werden wird? Ich habe so meine Zweifel, verliebt gurrende Laute dringen zu mir herüber. Die Wände in diesen Hotels scheinen aus Papier zu sein – oder mindestens nicht aus viel mehr.

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